Bruno Monguzzi

Bruno Monguzzi
Substanz trifft Poesie
von Susanna Koeberle
Bruno Monguzzi ist kein typischer Grafiker. Die Arbeit des 1941 in Mendrisio geborenen Gestalters hat nicht primär mit Ästhetik oder Form zu tun. Vielmehr sucht er für jeden Auftrag den adäquaten Ausdruck, der auf einer tiefgreifenden Kenntnis des Wesens von Kommunikation gründet. Grafik – oder in seinem Fall treffender ausgedrückt visuelle Kommunikation – ist für den Tessiner eine Dienstleistung, ein Instrument. Sie hat nichts mit einer individuellen Handschrift oder kurzlebigen Moden zu schaffen. Als Grafiker muss er in seinen Augen in erster Linie als Übersetzer und Schauspieler agieren. Wie letzterer muss er, um seinen Beruf auszuüben, die Fähigkeit besitzen, ein anderer zu werden. Die grafische Umsetzung muss dabei für Monguzzi stets der Logik des Auftrags folgen und nicht einem bestimmten Stil oder dem persönlichen Geschmack. Wesentliches Merkmal von Bruno Monguzzis Praxis ist ihre Komplexität, die zugleich der Einfachheit – nicht zu verwechseln mit Banalität – verpflichtet bleibt. Seine Arbeit vereint Gegensätze: Uneingeschränkte Empathie und wissenschaftliche Distanz. Die paradox erscheinende Paarung theoretischer Stringenz mit poetischer Leichtigkeit machen den Grafiker weit über die Landesgrenze hinaus bekannt.
Bereits zu Beginn seiner Karriere bricht Monguzzi mit Konventionen und sucht nach anderen und eigenen Methoden, um Kommunikation in ihrer ganzen Komplexität zu erfassen. Nachdem er mit fünfzehn Jahren nach Genf gezogen ist, um Grafikdesign zu studieren, flüchtet er nach dem Studium vor den formalen Dogmen der Schweizer Grafik und bricht nach London auf. Dort dringt er mit dem Studium der Gestaltpsychologie tiefer in die Materie ein. Er lernt dabei zu verstehen, wie das menschliche Gehirn auf äussere und innere Stimuli reagiert. Ihn interessiert, wie wir etwas wahrnehmen und warum wir es so wahrnehmen. Dieses Wissen sowie die Entdeckung der Typografie der Avantgarde-Bewegungen prägen seinen weiteren Werdegang. Mit zwanzig bekommt er eine Anstellung im renommierten Studio Boggeri in Mailand und bleibt mehrere Jahre dort. 1965 zieht es ihn nach Montreal, wo er im Rahmen der Expo 67 am Entwurf von neun Pavillons mitarbeitet. Nach seiner Rückkehr nach Mailand beginnt er seine Tätigkeit als selbstständiger Buch-, Plakat- und Ausstellungsgestalter.
Schon früh wird Bruno Monguzzi zum Unterrichten nach Venedig an die Fondazione Cini gerufen, später baut er einen Lehrgang in Visueller Kommunikation in Lugano auf. Mit seinem Unterricht prägt er eine Generation von Designschaffenden im In- und Ausland. Beim Vermitteln seines enormen Wissensschatzes bleibt er zugleich konkret. Ziel der Lektionen ist das gemeinsame Erarbeiten von Konzepten, die prozesshaft vertieft werden. Als Orientierung für die Studierenden hat der Kommunikationstheoretiker einen scharfsinnigen «Dekalog» entwickelt. Dabei geht es ihm nie um eine servile Einhaltung von Regeln, sondern um eine Form des Sehens und Verstehens, die jeder und jede Einzelne im Prozess der eigenen Arbeit erfahren und erlernen sollte.
Einen wichtigen Nährboden für seine Methodik bildet für Monguzzi das Denken der französischen Philosophin Simone Weil (1909–1943). Von ihr lernt er, dass es keine absolute Wahrheit gibt. Diese undogmatische Einsicht ist grundlegend, weil sie den Gestalter dazu antreibt, stets nach der passenden Lösung für ein Problem zu suchen. Entscheidend ist das Formulieren des Problems oder der Frage, die einem konkreten Auftrag zugrunde liegen. Der Tessiner Meister schafft es, die prinzipiellen Elemente der zu vermittelnden Botschaft zu identifizieren und kreiert dafür einprägsame Bilder. Das kann ein Logo sein oder ein Konzept für die visuelle Identität einer Institution. Zu seinen bekannten Arbeiten gehört etwa das Entwickeln des grafischen Auftritts für das Musée d’Orsay in Paris im Jahr 1986. Von grosser Bedeutung ist auch seine langjährige Tätigkeit für das Museo Cantonale d’Arte in Lugano von 1987 bis 2004. In den Triptychen im F12-Format, die er für das Museum gestaltet hat, wird Monguzzis Denk- und Arbeitsweise besonders deutlich. Hier zeigt sich auch sein ausgesprochenes Gespür für die spezifische Beschaffenheit der Wahrnehmung von Schrift und Bild im öffentlichen Raum. Bei dieser Arbeit manifestiert sich überdies Monguzzis ungewöhnlicher Umgang mit Bildmaterial und Typografie. Die Überlagerungen und Zitate, die er einsetzt, mögen spielerisch wirken, entspringen aber in Wahrheit stets einer genauen Analyse des Inhalts. Visuelle Spielereien und strenge Geometrien verbinden sich zu einem vielschichtigen und starken Bild, das nichtsdestotrotz primär der Information dient. Wer genauer hinsieht, erkennt die unterschiedlichen Schichten und Referenzen. Dem unmittelbaren Verständnis stehen diese Elemente allerdings nie im Wege.
Herausragend in seinem Beruf ist nicht zuletzt auch Monguzzis Talent, nicht nur inhaltlich die beste Lösung zu finden, sondern diese auch aus ökonomischer Perspektive zu reflektieren. Sein pragmatischer Umgang mit der räumlichen Komposition eines Entwurfs führt dazu, dass seine Plakate gefaltet auch als Flyer oder Leporello funktionieren. Solche Lösungen findet er etwa im Rahmen seiner Tätigkeit für verschiedene kulturelle Institutionen. Bruno Monguzzi ist nicht nur Designer, sondern amtet bei seinen Projekten auch als Berater seiner Kunden. Er denkt die Dinge durch und besitzt den Blick fürs Wesentliche. Meisterlich vereint er die Rolle des Denkers mit derjenigen des Entwerfers. In der Abgeschiedenheit von Meride, wo er seit vielen Jahren lebt und arbeitet, schafft er grafische Werke, die der lärmenden und zuweilen inhaltsleeren Gegenwart Substanz und Poesie entgegensetzen.