Batia Suter
© Dana Lixenberg

Batia Suter

Die Erneuerung von Drucktraditionen durch künstlerische Transformationen

von Susanna Koeberle

Bilder sind ein zentraler Bestandteil von Kultur. Allerdings dringen sie immer stärker in unsere Lebenswelt; wir werden regelrecht überschwemmt mit Bildern und können sie kaum mehr einordnen. Unser Gehirn wird von ihnen magisch angezogen und ist gleichzeitig chronisch überfordert damit. Bilder widerspiegeln zwar den unermesslichen Fundus menschlichen Wissens, doch im Zeitalter der Digitalisierung erfährt das Bild einen neuen Status, der stets trügerische Züge trägt. Die Künstlerin Batia Suter (*1967) interessiert sich für die ambivalente Wirkungsweise von Bildern. In ihrer multimedialen und transdisziplinären künstlerischen Praxis vertieft sie zum einen das Bild und seine Ikonifizierung, zum anderen werden Bilder in Bezug zur menschlichen Wahrnehmung gebracht. Das Bild und seine Rezeption sind im Werk der Künstlerin eng miteinander verflochten. Ihre Arbeit, die sowohl Installationen als auch Bücher umfasst, erneuert unseren Blick auf Bilder und deren Präsenz. Zugleich ehrt sie die Tradition der Reproduktion, des Bildbandes und des Drucks. Batia Suter nährt ihre Arbeit aus wissenschaftlichen Disziplinen wie der Semiotik, der Psychologie und der Kulturtheorie, doch lässt sie sich ebenso durch populäre Bildsprachen und Werbung inspirieren.  

Bücher spielen schon in Batia Suters Kindheit eine sehr wichtige Rolle; sie kann sich stundenlang darin verlieren. Noch während der Lehre zur Buchbinderin stellt sie fest, dass die Inhalte der Bücher sie ebenso sehr fesseln wie das Buch als Objekt und Medium. Sie besucht daraufhin den Vorkurs der Schule für Gestaltung in Zürich und führt ihre Studien in Arnheim (Niederlande) fort. Nach einem Master in Fine Arts vertieft sie ihr Interesse für Buchgestaltung mit einem Master in Typografie. Bald einmal fokussiert die Künstlerin auf die Fotografie, wobei sie vor allem mit bereits bestehenden Bildern arbeitet. Sie stützt sich dabei auf ihr persönliches Bücherarchiv, das kontinuierlich wächst. Suter sammelt seit vielen Jahren alte Druckerzeugnisse und ist eine regelrechte Bilderjägerin. Allerdings ist ihr Blick darauf ein sehr spezifischer, denn in ihr Archiv schaffen es nur Bilder, die sie in irgendeiner Form «triggern». Angezogen ist sie von Dingen, die nicht auf den ersten Blick einzuordnen sind oder verformt erscheinen.

Das steht im Widerspruch zum Buchtypus, für den sie eine besondere Affinität hat: die Enzyklopädie. Von der Leidenschaft für dieses Nachschlagewerk zeugen ihre beiden Bildbände «Parallel Encyclopedia» (2007 und 2016). Suter interessiert an Enzyklopädien das Verhältnis von Bild und Text. Während das Bild stets eine Form von Gültigkeit besitzt, sind die Erklärungen dazu bereits kurz nach Erscheinen überholt durch neue Erkenntnisse. Die Künstlerin versteht diese Werke als Zeitdokumente, die auch verschwindendes Wissen transportieren. Indem Suter aus der Masse der Bilder neue Bildsequenzen modelliert, hinterfragt sie den Drang des Menschen nach Kategorisierung und gibt zugleich Einblick in das Funktionieren der menschlichen Wissensaneignung. Sie stellt der pragmatischen Ordnung der Enzyklopädie eine sinnlich erfahrbare, anarchisch aufgebaute und chaotische Parallelwelt gegenüber, die unsere Wahrnehmung und Assoziationsfähigkeit herausfordert.

Durch die schiere Menge an Bildmaterial, die Batia Suter in ihren Publikationen und Installationen verarbeitet, geht sie der Bilderflut des heutigen Zeitalters auf die Spur. Eine der Konsequenzen davon ist für sie eine gewisse Abstumpfung und Immunität dem Bild und seinem Inhalt gegenüber. Die Künstlerin führt uns durch die serielle Wiederholung die Beliebigkeit der Bilderströme und Algorithmen vor, die wir täglich konsumieren. Zugleich ermöglichen ihre Bildmontagen das Herstellen neuer Bezüge und Analogien sowie das Entdecken von Bildern zwischen den Bildern. Neben dem scharfsinnigen Gefüge, das Suter in ihren Werken etabliert, spielen auch die Bildmotive an sich eine wichtige Rolle. Diesbezüglich lassen sich zwei Pole ausmachen.

Zum einen spüren ihre Arbeiten dem Vergangenen, Vernachlässigten und Verdrängten nach: der Kehrseite unserer Wahrnehmung sowie ihren Einflüssen auf unser Bildverständnis. Die Künstlerin kommt schon früh mit Sigmund Freuds Theorie des Unbewussten und mit C. G. Jungs Archetypen in Kontakt. Allerdings geht es ihr nie darum, solche Lehren direkt in ihre Kunst einfliessen zu lassen oder diese zu zitieren. Sehr bewusst jedoch erforscht Suter das Thema des Unheimlichen – im Sinne Freuds – in ihren oft ortsspezifischen Foto-Installationen, bei denen sie jeweils auf die räumlichen Gegebenheiten reagiert. Suter interessiert, was Architektur mit Menschen und Bildern macht: Wann sie bedrohlich wirkt und wann einladend. In ihren grossformatigen Installationen kreiert sie Räume, in denen sie das Auge auf eine Reise mitnimmt.

Zum anderen richtet die Künstlerin ihr Augenmerk auf die diversen Erscheinungsformen von Urbildern, Ikonen und Alltagsphänomenen, auf die universelle Basis von Kultur sozusagen. Das können bekannte Bauwerke, Kunstwerke oder andere Artefakte sein. Suter zoomt sowohl in den kollektiven Fundus unseres kulturellen Gedächtnisses als auch in die Grundstruktur eines Bildes. Entgegen dem heutigen Imperativ der digitalen Transparenz oder dem Diktat der Überschärfe von Bildern widmet sich die Künstlerin ihrer Opazität, ihren unerkannten Schattierungen und Zwischentönen. Sie offenbart damit auch die unsichtbaren natürlichen Wachstumsprinzipien, die Dinge, Pflanzen, Tiere und Menschen gemeinsam haben. Diese Muster sind für Suter mehr als nur Dekoration, sondern chiffrierte Informationen. Mit ihrem Werk verdeutlicht Suter, dass der Mensch – freiwillig oder unfreiwillig – ein Zeichenleser ist; sie macht die sprachliche Natur unserer Wahrnehmung sichtbar. Mehr als das: Das Bild ist in ihrer Arbeit nicht bloss ein Beweismittel oder eine Dokumentation von Realität. Es reflektiert den Wert und den Status der Bildkonstruktion an sich.