Beat Streuli

Beat Streuli

Über die Arbeiten von Beat Streuli

Es sei «die Neugier auf die anderen menschlichen Wesen», die seine Arbeit inspiriert, und davon ausgehend das Nachdenken darüber, «wie die Welt heutzutage aussieht und wohin sie gehen könnte», erklärte der international renommierte Künstler Beat Streuli jüngst in einer Videodokumentation. Seit den 1990er-Jahren bewegt sich Streuli weltweit durch Städte und hält mit der Foto- oder Videokamera das urbane Leben fest. Das Material, das auf diese Weise entsteht, fliesst ein in einen intensiven Kompositions- und Montageprozess. Ob auf serielle Weise, in Wallpaper- und Videoinstallationen, als Slideshow oder in Buchform: Beat Streuli nutzt verschiedene Präsentationsformen, um seine Bildwelten zu inszenieren und sichtbar zu machen. Immer wieder verlässt er den klassischen Kunstkontext und präsentiert seine Werke in spektakulären Installationen im öffentlichen Raum und entwickelt eine Form von Rückkoppelung seiner Strassenbilder in die Strasse selbst, oder bisweilen auch in Mode- oder Lifestylemagazinen. Streuli interessiert sich für die Anschlüsse zwischen seinen Werken und dem öffentlichen Leben.

Beat Streuli zeigt Menschen im urbanen Kontext, doch sind seine Bilder niemals voyeuristisch. Sie stellen niemanden bloss, wahren immer einen gebührenden Abstand. Zu urteilen und zu bewerten, liegt Streuli nicht. Seine Werke erscheinen auf den ersten Blick fast beiläufig und ohne viel Aufhebens gemacht, aber der Eindruck trügt. Eine nähere Bildanalyse zeigt: Die von ihm abgelichteten Ausschnitte des urbanen Lebens sind mit Bedacht und Aufmerksamkeit für Details gewählt. Farben, Objekte, Menschen, Situationen – hier scannt ein klarer und offener Blick den öffentlichen Raum und den urbanen Kontext. Ein Beispiel: Im Hintergrund sehen wir unscharf einen SUV, im Vordergrund einen leger gekleideten Mann, der seinen Kopf gerade wegdreht und in seiner rechten Hand eine Zeitung hält, leicht verkrampft, weil er genau mit diesem Arm auch noch einen in Plastik gewickelten Gegenstand festhält. Rechts neben ihm ein Fragment einer Werbung, die einen coolen Typ mit Brille zeigt. Hinten links die wiederum etwas unscharfe Rückansicht eines Mannes; er trägt eine Anzughose, doch kein Jackett. Vielleicht ist es heiss.
Wie ein Chirurg legt Streuli am offenen Herzen STADT die Kapillare frei, die Arterien, die Blutbahnen. Wir sehen ganz unterschiedliche Geschichten und Stimmungen aufeinanderprallen, und sie alle sind eingebettet in eine Alltäglichkeit, die nicht preisgibt, welche Einzigartigkeiten ihr innewohnen. Wir wissen nicht, was sich alles hinter der Fassade dieser Normalität verbirgt.

Beat Streuli hat seine ganz eigene Ästhetik entwickelt. Mit anderen Worten: Man erkennt einen Streuli, und das liegt an einer Reihe von Faktoren. So transportieren seine Werke stets eine von Gedankenverlorenheit getragene Grundstimmung. Man sieht meist Menschen, die von A nach B gehen oder auf ihrem Weg kurz innehalten, man sieht Momentaufnahmen individueller Lebensbahnen. Die Gesichter der Fotografierten werden selten en face gezeigt, sie wissen nicht, dass sie beobachtet werden. Umgeben sind sie von den Versatzstücken des urbanen Lebens, einer inszenierten Beiläufigkeit, bei der die verschiedenen Layer der Urbanität zu einem Stimmungsbild zusammenkommen – einem Gesamtbild, das nie investigativ oder polemisch erscheint, weder wertend noch fragend, sondern als Resultat ruhiger Beobachtung. Streulis Arbeiten ziehen uns mitten hinein ins Geschehen, mitten hinein ins urbane Herz – und lassen uns dann doch auch ein wenig stehen, wie bestellt und nicht abgeholt. Plötzlich stehen wir mitten auf einer Kreuzung irgendwo auf der Welt; wir sehen Menschen aus allen erdenklichen Kulturen. Manche warten, manche wirken gestresst, andere gelangweilt. Wir sehen Menschen, die die Strasse überqueren, telefonieren oder einen Burger essen. Wir sehen Menschen im Gespräch und andere, die in ihrem ganz eigenen Film zu sein scheinen. Sie stehen an Strassenecken, unter Strassenschildern, vor Absperrungen, inmitten des Autoverkehrs, vor Werbeflächen. All dies sind Fragmente aus einer globalisierten Welt. In Brüssel? In New York oder Altstetten? Maputo? Wir wissen es nicht genau. Eine Installation von Beat Streuli anzusehen heisst, überall auf der Welt zu sein. Und es spielt nur teilweise eine Rolle, wo New York aufhört und Altstetten beginnt. «Es ist diese Intimität, die in der Anonymität stattfindet, die mich berührt und so aufschlussreich sein kann», konstatiert der Künstler selbst.

Eingebettet in aktuelle gesellschaftliche, kulturelle, ökologische und wirtschaftliche Diskussionen, lenken Streulis Arbeiten die Aufmerksamkeit auch auf unsere Lebensentwürfe: Wie wollen wir in Zukunft leben und was ist uns wichtig? Dabei sind seine Werke nie moralisch, sie heben nicht den Zeigefinger, um uns zu lehren, wie es richtig ist. Wir begegnen in Streulis Werken daher auch immer wieder Gegensätzen: hell/dunkel, arm/reich, geordnet/chaotisch, ruhig/hektisch, laut/leise. Wir begegnen den Spannungsfeldern zwischen Individualität und Kollektivität oder auch zwischen persönlicher Freiheit und Gemeinschaftlichkeit. So geben uns die Werke Beat Streulis auf unaufgeregte Weise einen Impuls, den wir schlussendlich doch als Auftrag lesen können: Wie er darüber nachzudenken, «wie die Welt heutzutage aussieht und wohin sie gehen könnte» und welche Rolle jeder und jede Einzelne von uns dabei spielt. Wie agieren wir miteinander, wie viel Aufmerksamkeit widmen wir einander im Alltag, welchen Beitrag können wir dazu leisten, die Gesellschaft zu stärken und neue Denkräume zu öffnen? Damit wir gemeinsam die Herausforderungen der Zukunft meistern.
Dorothea Strauss

Dieser Text wird ebenfalls in der Publikation Schweizer Grand Prix Design 2022 (Scheidegger und Spiess) abgedruckt, die im Juni 2022 im Rahmen der Ausstellung Swiss Design Awards in Basel erscheint. In der Publikation finden sich ein umfassendes Interview mit Beat Streuli und Dorothea Strauss sowie eine Bildstrecke über das Schaffen des Preisträgers.

Beat Streuli
© Diana Pfammatter / BAK

Jurystatement

«Beat Streuli arbeitet mit Fotografie und Video – Schnappschüsse, Film-Stills, Bilder von Überwachungskameras oder aus der Werbung – und schafft Werke von starker visueller Wirkung. Indem er ihm unbekannte Personen in den Strassen porträtiert, macht er die urbane Umgebung zur Bühne. Obwohl Stadtlandschaften den Hintergrund seiner Bilder bilden, stehen die Menschen und nicht die architektonischen oder strukturellen Elemente im Mittelpunkt seines Schaffens. Beat Streuli ist einer der wichtigsten Vertreter des Strassenporträts.»