Peter Knapp
Commissioned by the Federal Office of Culture
Project lead: Anna Niederhäuser
Video: John Allen AG, Zürich
Coordination: mille pages, Mirjam Fischer, Zürich
Art direction : Studio Ard, London
Filmed by: messieurs.ch, Lausanne
Typeface: RH Geigy, Robert Huber, Zürich
Sound: Guy Meldem & Christian Pahud
Filmed in March 2021
Statements by:
• Serge Ricco, Creative Director of l’Obs
• Gabriel Bauret, Independent curator and author
• Peter Pfrunder, Director Fotostiftung Schweiz
Peter Knapp
Mit Panoramablick durchs Leben
Peter Knapp ist ein Meister des Fotografierens und sein Beitrag zur angewandten Fotografie macht ihn seit den 1960er-Jahren zu einem bedeutenden Wegbereiter einer neuen Form der Modefotografie. Das alles steht ausser Frage, aber darauf reduzieren lässt er sich nicht.
Ist Peter Knapp tatsächlich ein Fotograf und sogar ein Schweizer Künstler? Er hat sich leidenschaftlich und regelmässig mit der Typografie und höchst sorgfältig mit dem Bildlayout einer Doppelseite auseinandergesetzt. Diese Storyboards haben es in die Museen geschafft und gelten in den Kunsthochschulen als Vorbilder. Ordnen, zuschneiden, verkürzen oder auflockern – all dies liegt seinen Plakaten, Einladungskarten und Filmen zugrunde.Wie seine Vorgängerinnen und Vorgänger bewegte er sich in einem logischen Kontinuum (Müller-Brockmann, Miedinger, Ruder, Itten, Finsler, Frutiger) und bekannte sich dabei zu Einfachheit und Nüchternheit. Er nutzte die Schrift mit Eleganz, arrangierte die Bilder ohne den gesuchten Effekt und lehnte alles Dekorative ab. Nachdem er 1951 nach Paris gezogen war, führte er die Neue Sachlichkeit weiter, die er an seiner Schweizer Schule gelernt hatte, und erarbeitete eine ungekünstelte Darstellung des Objekts und eine Bildsprache, die sich zwischen Funktionalismus, Minimalismus und Universalismus situiert.
Es scheint also alles klar wie der blaue Himmel eines Morgens in den Bergen, heiter wie ein leerer Tempel ohne Verzierungen und erfüllt vom Verlangen nach Reinheit.
Aber man lebt nicht ohne Weiteres in Frankreich, in Paris, dem «24ème canton». Im Land der Autoritätsverweigerung greift Peter Knapp zur List. Er bricht mit der Tradition der radikal puristischen Ablehnung ungewöhnlicher Konstruktionen. Den Linien verleiht er eine subtile Sinnlichkeit und bringt die Kriterien von Design und Fotografie durcheinander. Immer wieder produziert er Zufälle. Er braucht und missbraucht und macht sich lustig über alles, was von der Kultur als gültig erachtet wird. Er erlaubt sich alles; in seinen Bildern scheinen die Frauen zu fliegen, indem sie ihren Körper befreien. Geometrie ist Verkrampfung. Der Sinn stiehlt sich aus dem Bild wie eine Onomatopoesie, die Wörter rennen über die Seiten und spielen mit den Illustrationen. Alles tauscht seine Bedeutung auf diesen befreiten Seiten.
Es ist schwierig, einfach zu bleiben, ohne Langeweile und ohne die Ausschweifungen der 1960er- und 1970er-Jahre in Frankreich. Ob für das Publikum oder für den Autor: Das Werk wirkt, weil es pures Leben ist und zur Freiheit einlädt. Peter Knapp gleicht denen, die es betrachten. Er wird nie satt davon, alles zu sehen. Als visueller Vielfrass, Zyklop mit Panorama-Blick, verfügt er über eine besondere Gabe. Ein grosszügiger Autodidakt? Bestimmt. Geschickt und diplomatisch? Gewiss. Aber diese Qualitäten könnten nicht zum Tragen kommen, würde er nicht über weitere seltene und kostbare Charakterzüge verfügen: die Ehrlichkeit und die Treue. Jede Seite, jedes Bild und jedes Buch sind eine Hommage an seine Freunde: In seinem grossen Repertoire, aus dem er schöpft, finden wir Zeichnungen von Steinlen, Van Gogh, Gemälde von Tàpies, Césars Daumen oder Fotografien von Bruno Suter. Wie Jean Tinguely verarbeitet er Holz, Stahl und Kunststoff. Nicole de Lamargé wird zur Skulptur. Mit Courrèges erfindet er Le Corbusier neu. In Basel amüsiert er sich über Littmans Launen. Für sein Werk nimmt er oft die Hilfe von Poetinnen und Poeten in Anspruch, von Kreativen aller Art, von denen, die sich Neues ausdenken und sich nie mit der Gewohnheit begnügen: Hélène Lazareff, die ihm den Weg weist, oder Pierre Restany, dem er zuhört und den er versteht... Die Liste ist unvollständig, es fehlen die gesehenen und kritisierten Filme, die auf Flügen verschlungenen Romane, die gesammelten Erinnerungen – und Christine... Peter Knapp schafft Wahlverwandtschaften, aus denen sich die Gedankenwelt einer ganzen Generation erschliesst. Der Geist des Werks liegt in der unmittelbaren Zustimmung des Publikums.
Peter Knapp braucht mehr als ein Leben. Die Leben, die er bis jetzt geführt hat, schenkten ihm die Gelegenheit, starre Rahmen zu durchbrechen und gaben Anlass, die eigene Meinung frei zu äussern. Sein Stil könnte so beschrieben werden, dass er den durchlebten Zeitabschnitten jeweils genau den passenden Ton in der entsprechenden Tonlage verlieh. Was die gesellschaftliche Bewegung von 1968 aufgebrochen hatte, setzte Peter Knapp mit seinen Filmen, in seinen Werken und seinen Plakaten um. Er war nicht der Einzige, aber er hat dazu beigetragen, die Fesseln von Sexismus und Rassismus zu lösen. Eine souveräne Freiheit äussert sich in jedem seiner Projekte, denn wir dürfen der Welt nicht gleichgültig gegenüberstehen und uns von der Selbstbezogenheit mitreissen lassen. Peter Knapp lässt die Jugend an seinen Überlegungen teilhaben, Generationen von Assistentinnen und Assistenten und Studierenden, die er der Normalität entrissen hat. Weitergeben ist eine Haltung. Zu den bereits genannten Werten kommt also noch das Weitergeben dazu, das Vermitteln an junge Menschen, die dafür sorgen, die zeitlosen Praktiken weiterzuführen. Für ein Anwenden von Wort und Bild, das von Kunsthandwerk zeugt.
Der Schaffensmoment entsteht aus der eigenen Hand, die einen Strich zieht, auslöscht, wegkratzt und zerreisst, die zittert und alles in den Papierkorb wirft.
Das Paradox des Werks liegt im Ausdruck zwischen der persönlichen Geste und der Industrialisierung der Prozesse. Die Widersprüche der Moderne werden zu seinen eigenen. Seine Werke lassen sich vom Vulgären nicht beeindrucken und erschaffen Räume der Möglichkeiten. Licht und Dunkel, Serie und Einzelstück stehen sich zwar gegenüber, aber nichts schliesst sich gegenseitig aus. Wir stehen also tatsächlich vor einem zeitlosen Werk, wo sich Nachbildung und Original vermischen, wo sich der Überfluss zugunsten der Leere zurückzieht. Perspektiven und aufgebauschte Volumeneffekte verschwinden und stiften neuen Sinn.
Im Blau des Himmels betrachtet Peter Knapp den Abgrund. Er sieht die Hand seines Vaters, die Bäume, die Heuballen und die Weinstöcke. Für den Bergmenschen, der er geblieben ist, unterstreichen Schnee und Wälder, dass die Zeit der Illusion nicht die Zeit der Bilder ist. Der starke Willen eines Baums oder eines Kieselsteins, die Ästhetik des Unperfekten, dieses Nichts wirkt der allgegenwärtigen Eitelkeit entgegen.
Wenn er sich mit seinem Medium befasst, versucht Peter Knapp, die Dinge zu erhellen. Es ist eine Meditation, ein fröhliches, klarsichtiges Besinnen auf die Elemente der Wirklichkeit und ihre schicksalshafte Erscheinung: Das Überschreiten der Grenze zwischen Material und Verlangen, das Überwinden des unerträglichen Alltags durch die Bilder.
François Cheval