Commissioned by the Federal Office of Culture
Project lead: Anna Niederhäuser
Video: John Allen AG, Zürich
Coordination: mille pages, Mirjam Fischer, Zürich
Art direction : Studio Ard, London
Typeface: RH Geigy, Robert Huber, Zürich
Sound: Guy Meldem & Christian Pahud
Filmed in March 2021
Statements by:
• Linda van Deursen, Graphic designer
• Brita Lindvall Leitmann, Graphic designer
• Adam Szymczyk, Curator and writer

Julia Born

Angleichung & Justierung

Sollten Sie jemals in die Situation kommen, einem Kind – wahrscheinlich im Zusammenhang irgendeiner manuellen Operation – den Unterschied zwischen einer Angleichung[1] und einer Justierung[2] erklären zu müssen, werden Sie vermutlich ein Gelächter auslösen. Ein auf gegenseitiges Verständnis abzielender Prozess kann als Angleichung bezeichnet werden – sie erlaubt es, auch zahllose Elemente des Kontexts ins Verständnis mit einzubeziehen. Gewöhnlich führt ein solcher Prozess irgendwann zu einem Konsens, und dies eröffnet ein Feld für letzte Justierungen und schliesslich für eine Festlegung, einen Abdruck. Die Praxis des Grafikdesigns verlangt es, immer wieder zwischen diesen zwei Grenzbereichen – Angleichung und Justierung – hin und her zu wechseln. Sich die Bewegung auch nur ansatzweise vor Augen zu halten, reizt sofort zum Lachen. 

Als Angleichung kann auch das gegenseitige Verständnis bezeichnet werden, das auf das Resultat hinauslief, dass Julia Born den Grand Prix Swiss Design erhielt. 

Das Folgende sind die Justierungen dieser Angleichung. Eine Standard-Justierung:
Julia Born lebt und arbeitet in Zürich. Seit sie im Jahr 2000 ihr Studium an der Gerrit Rietveld Academie in Amsterdam abschloss, war sie in vielfältige Projekte zwischen der Schweiz, Amsterdam und Berlin involviert. Schwerpunkt ihrer Arbeit ist Editorial Design für Institutionen aus dem Kulturbereich: Stedelijk Museum und Rijksakademie Amsterdam, Kunsthalle Basel, ICA Miami, Guggenheim Museum New York, Hamburger Bahnhof, HKW, Brücke-Museum Berlin und die documenta 14 Kassel und Athen. Im engen Dialog mit Institutionen, freischaffenden Kuratorinnen und Kuratoren sowie Kunstschaffenden, entstanden so Publikationen, Visuelle Identitäten, Ausstellungsdesign und vieles mehr. Neben den Auftragsarbeiten beteiligte sich Julia Born immer wieder an freieren und oft investigativ ausgerichteten Kollaborationen, unter anderem mit der Fotografin Uta Eisenreich, dem Modedesigner JOFF und der Performancekünstlerin Alexandra Bachzetsis. Diese Projekte drehen sich um Fragestellungen des Sprachgebrauchs und der Repräsentation. Julia Born unterrichtet Grafikdesign an der Gerrit Rietveld Academie in Amsterdam und an der École cantonale d’art de Lausanne (ECAL). Als Gastdozentin wirkt sie u. a. an der Yale School of Arts, der Rhode Island School of Design (RISD), der University of Seoul, dem CCA San Francisco sowie am Werkplaats Typografie in Arnheim. Von 2003 bis 2007 war sie Jurymitglied des Wettbewerbs «Die Schönsten Schweizer Bücher». Anlässlich des Inform-Preises für konzeptionelles Gestalten realisierte sie ihre erste Einzelausstellung und den Katalog Title of the Show in der Galerie für Zeitgenössische Kunst Leipzig. Sie erhielt unter anderem den Charlotte-Köhler-Preis 2008, den Jan-Tschichold-Preis 2011 und den Schweizer Designpreis 2003, 2007 und 2018.

Hey Kids! Wollen wir nicht doch lieber die Angleichung beschreiben? Vielleicht geht’s doch eher darum: Bei den (Pfad-)Finderinnen mitmachen [diese ganz besondere Idee von Dienstleistung, Struktur und Freiheit, die sowohl Angleichungen innerhalb der Hierarchien als auch dagegen hervorbringt]. Durch die Eltern und mit ihnen Kunst und Design kennenlernen. Mit den Büchern auf ihren Regalen aufwachsen – das Schnipseln und Schneiden, die Löcher, Farben und Materialien, die in entschiedener und finaler Ordnung erscheinen. Their Finite Bliss. Eine Mathelehrerin am Gymnasium, eine politisch bewanderte, engagierte Feministin mit Migrationshintergrund. Ein Nebenjob in einer Zürcher Frucht- und Gemüsehandlung (wo die Besitzerin ihr Dinge fürs Leben beibrachte) und wo sie gelegentlich die verfaulenden Restbestände fotografierte, um Bilder für die Bewerbung an der Kunsthochschule zu haben. Dort angekommen, eine ganze Litanei von nicht-linearen und trans-disziplinären Verbindungen anhören, auch konzeptionelles Denken und Überlegungen zu Archiven, sowie absurde Aufgabestellungen (basierend auf dem beliebtesten Gemüse der Niederlande). Es gab damals viele ‘uncoole’ und ‘unkuratierte’ Aufgaben. Lernen, aus fast nichts wenigstens irgendetwas zu machen – aus einer blossen Frage oder nur einer Laune von Dozierenden. Looser Times. Die guten Dozierenden, und sogar die schlechten, und dann trotzdem selbst Dozentin werden, gleich nach dem Abschluss! Als solche sich immer Zeit nehmen, mit dem arbeiten, was an den Tisch gebracht wird, und nie eine Diskussion verlassen, ohne etwas beigetragen zu haben. Late Evenings and Nights. Lehre und Praxis sind immer verbunden. Die Schule ist ein spezieller Ort, aber das Studio auch. Fear, Courage, Feeling, Scent, Touch, Love. Babe. Eine tiefgründige und anspruchsvolle Kollaborateurin, eine Entscheidungsträgerin, immer im Hinblick auf die Überlegungen von anderen. Das vierteljährliche Programm der (Pfad-)Finderinnen, die Fanzines und Telefonlisten, in Briefen an die Eltern verschiedene Unterschriften ausprobieren … So hat das mit dem Grafikdesign angefangen.

Vielleicht könnte man sagen: Die Justierung verrät die Seele, aber die Angleichung begehrt sie.

Angleichungen in der Reihenfolge ihres Erscheinens: (Pfad-)Finderinnen, Eltern, ACID. Neue amerikanische Szene, herausgegeben von R. D. Brinkmann und R. R. Rygulla, März Verlag, Darmstadt 1969; Markus Raetz 1986, Kunsthaus Zürich; Schnippelbuch; Helen Faigle, Loris Scola; René van der Land, Giene Steenman und Hewald Jongenelis (Gerrit Rietveld Academie, Basisjaar), Linda van Deursen, Frans Oosterhof und *gestrichen* (Gerrit Rietveld Academie, Grafikdesign), diverse Schulen, Studierende, Mitarbeitende sowie Auftraggeberinnen und Auftraggeber, und so weiter. 

Dies ist ein mehrstimmiger Text, zusammengetragen und arrangiert von David Bennewith. Die Idee dazu entstand bei der Betrachtung von Julia Borns Arbeiten.

[1] Im Original engl. alignment, heisst auch z. B. Ausrichtung (beim Textsatz), Anordnung, Harmonisierung.
[2] Im Original engl. registration, heisst auch z. B. Registrierung (beim Druck), Eintragung, Zulassung.

David Bennewith

Julia Born
Julia Born
© BAK / Diana Pfammatter