Cécile Feilchenfeldt

Marc Asekhame, Zürich
Interview: Vera Sacchetti, Basel

Cécile Feilchenfeldt, 1973

Strickdesignerin, Paris

Cécile Feilchenfeldt fertigt experimentelle Textilwerke, die luxuriöse und rohe Materialien vereinen, und erweitert dabei die Grenzen des Strickens. Nach ihrem Textildesign-Studium an der Zürcher Hochschule der Künste erhielt sie den Brunschwig-Preis für angewandte Kunst, der die Grundlage ihres Ateliers in der Schweiz und im Ausland bildete. Während zehn Jahren arbeitete sie für das Theater und entwarf Kostüme für zahlreiche Produktionen. Schliesslich ist sie zum Textildesign zurückgekehrt und arbeitet für hochrangige Kundschaft von der Haute-Couture bis zur Autoindustrie. Ihre Kreationen mit unerwarteten Kombinationen, verspielten und klaren Formen sowie überraschenden Verwandlungen des Materials sind das Resultat ihres unkonventionellen Schaffens.
Der Bund vergibt einen Schweizer Grand Prix Design an Cécile Feilchenfeldt als Anerkennung ihres Könnens und ihrer experimentellen Arbeitsweise, die dazu beigetragen haben, dem Beruf des Strick- und Textildesigns neues Leben einzuhauchen.

Essay

Die Seele hängt an einem Faden

Ihre ganze Arbeit hängt an einem Faden, der erst abreissen wird, wenn sie es wünscht, und den sie weiterspinnt, verdreht und knüpft, bis sie entscheidet, dass die Arbeit getan ist, dass das Wort „Ende" die Geschichte abzuschliessen vermag. Eine Geschichte, die sie geschrieben hat, ohne die Feder abzusetzen. Sie fügt die Wörter in einer Sprache zusammen, die nur sie kennt und die wir erst entschlüsseln müssen.
Cécile Feilchenfeldt zaubert Volumen herbei, wo noch keines vorhanden ist. Was ist schon ein Faden in den Augen der Normalsterblichen? Für Cécile Feilchenfeldt birgt ein Faden Wörter, die sie in der Stille ihres Ateliers mit den Fingerspitzen entziffert. Sie hört jedes kleinste Geräusch, die leiseste Klage, den geringsten verdächtigen Ton, der einer fallenden Masche vorausgehen könnte. Es kommt vor, dass Maschen fallen, aber wieso? Hatten sie nicht die Kraft, sich zusammenzuhalten, sich auf unbestimmte Zeit mit anderen Maschen zu vereinen, für die Dauer des geschaffenen Objektes, sei es Jacke, Volant, Hut oder Pullover mit Zopfmuster?
Cécile Feilchenfeldts neues Leben, das sie selbst schreiben will, ohne sich von anderen beeinflussen zu lassen, hat mit einem Preis begonnen. Wir sind uns kaum bewusst, wie sehr ein Preis ein Leben verändern kann. Für Cécile Feilchenfeldt war es der „Prix Micheline et Jean-Jacques Brunschwig", den sie 1998 gewann. Wenn wir im Katalog der damaligen Ausstellung im Musée de l'Ariana in Genf blättern, entdecken wir die Werke, die damals die Jury überzeugten, ein Talent vor sich zu haben, das nicht im Entstehen begriffen war, sondern bereits existierte, und das es bekannt zu machen galt. Wir sehen und spüren schon das zwanzig Jahre dauernde Schaffen, das folgen sollte. Cécile Feilchenfeldts Accessoires von 1998 tragen bereits die ersten Anzeichen ihrer Sprache in sich. Mit den 20 000 Franken Preisgeld errichtet die Strickerin und Textildesignerin ihr Atelier in Paris und legt den Grundstein ihres Unternehmens.
„Ich bin Schweizerin, bin in München aufgewachsen, habe an der Zürcher Hochschule der Künste Textildesign studiert, in Genf einen entscheidenden Preis gewonnen und mich im Jahr 2000 in Paris niedergelassen". Soweit die Wege von Cécile Feilchenfeldt. In diesem relativ kleinen Radius hat sie ein immer grösser werdendes Universum geschaffen. Ihre Fähigkeit, mit einem Faden und den 380 Nadeln ihrer halbautomatischen Strickmaschine, deren Gesang sie verinnerlicht hat, Volumen, Formen und bewegte Skulpturen zu erschaffen, hat etwas Magisches.
Wie ist Cécile Feilchenfeldt zum Stricken gekommen? „In meinem Herzen bin ich eher Weberin, aber das Stricken ist eine andere, sehr mathematische Sprache, die mir auch entspricht. Weben ist meditativ: Ein Faden fügt sich zu vielen anderen Fäden. Man sieht, was man macht, und das ist beruhigend. Beim Stricken hält ein einziger Faden alles zusammen und die Arbeit verschwindet zwischen zwei Schlitzen. Während zwanzig Zentimetern sieht man nichts, dann taucht plötzlich ein kleines Stück im Schatten auf!" Das Gestrickte wird von Gewichten gehalten, und die dritte Dimension zeigt sich erst, wenn die Arbeit fertig ist und die Maschine das Objekt freigibt. „In diesem Moment entdecke ich, was ich gemacht habe", sagt sie. Cécile Feilchenfeldts Arbeit enthält einen wunderbar zufälligen Aspekt. „Meine Tage sind voller guter und schlechter Überraschungen, Stricken ist etwas sehr Lebendiges". Und daher immer wieder überraschend. „Beim Stricken arbeite ich reiner als beim Weben, wo es die Kette gibt, die mit dem Papier zu vergleichen ist, auf das wir zeichnen. Normalerweise können wir nicht in die Luft zeichnen, ausser mit diesen neuen Stiften, die dreidimensional schreiben. Stricken ist eine Abstraktion, ich zeichne ohne Papier. Es ist auch ein Risiko: Wenn der Faden reisst, verschwindet die Zeichnung, und wenn eine Masche fällt, hinterlässt sie eine Spur. Diese schönen Zufälle müssen wir akzeptieren, wenn wir forschen. Wenn ich aber an einem Stück für eine Modenschau arbeite, ist der Zufall nicht mehr erwünscht."
Cécile Feilchenfeldt hat immer nach ihren eigenen Ideen gearbeitet, aber sie hat sich den Bedürfnissen der Modeschaffenden angepasst, die in ihr fanden, was ihnen fehlte: Ein wichtiges Element, um eine Geschichte dank dem experimentellen Stricken dreidimensional zu erzählen.
Wird sie gefragt, wie viel Zeit sie für ein Stück benötigt, antwortet sie: „Einige Stunden oder einige Tage". Eine Antwort, die nur sie selbst in ihrem eigenem Raum und in ihrer eigenen Zeit versteht, die nicht von Uhren sondern vom Hin und Her der Maschinen bestimmt ist, das mal schneller und mal langsamer ist, je nach dem Stück, das gerade entsteht. Es erstaunt kaum, dass sie sich nicht auf die Messinstrumente der übrigen Welt verlassen kann. Auch die Zeit, die sie gebraucht hat, um ihre Technik zu finden, müsste einberechnet werden. Es ist sinnlos, diese Stunden und Tage zusammenzuzählen.
Cécile Feilchenfeldt zeigt mir gestrickte Stichproben, darunter einen Nylonvolant mit Perlen. Ich erinnere mich, diese regenbogenfarbenen Volants an der Fashion Week in Paris gesehen zu haben, in der letzten Kollektion von Schiaparelli, entworfen von Bertrand Guyon. Dass die eigene Arbeit als Unterschrift gilt, bringt eine gewisse Genugtuung mit sich, auch wenn nicht alle Modeschaffenden ihren Namen erwähnen. Eine Ausnahme sind Lutz Huelle und Walter van Beirendonck. Ich erkenne ihre gestrickten Stücke aus einer anderen Welt aber sofort: Gestricktes aus Nylon, Bast oder Holz, Farben, die sich mischen, Ideen, bewegte Skulpturen ...
Auf den Fotos in Cécile Feilchenfeldts Smartphone erkenne ich auch die kleinen starken Hände von Azzedine Alaïa. Sie hat ihn im November 2017 getroffen, kurz bevor er starb. Für die Eröffnung seiner Londoner Boutique hätten sie zusammenarbeiten sollen. Der Tod hat die Pläne zunichtegemacht. Es bleiben Alaïas Hände, die sich in das Gestrickte graben, mit einem Vergnügen, das wir uns leicht vorstellen können.
Es bleiben alle diese Bilder und Videos von Kreationen, die der dreidimensionalen Verwirklichung der Träume anderer Modeschaffenden dienten. Und alle, die noch kommen werden, festgemacht am Faden der Leidenschaft ...
Isabelle Cerboneschi