Ralph Schraivogel

Ralph Schraivogel
© BAK / Gina Folly

Ralph Schraivogel, 1960

Grafikdesigner

Der Gra­fik­de­si­gner Ralph Schrai­vo­gel bril­liert durch seine be­son­ders prä­zi­se und sorg­fäl­ti­ge Ar­beits­wei­se. Nach sei­nem Stu­di­um an der Zürcher Kunst­ge­wer­be­schu­le er­öff­ne­te er sein ei­ge­nes Stu­dio, eben­falls in Zürich. Sein be­vor­zug­tes Aus­drucks­mit­tel ist das Pla­kat. Er hat für zahl­rei­che Schwei­zer Kul­tu­rak­teu­re Werke kre­iert : Ins­be­son­de­re seine lang­jäh­ri­ge Zu­sam­men­ar­beit mit dem Zürcher Film­po­di­um, mit dem Mu­se­um für Ge­stal­tung Zürich und mit dem Film­fes­ti­val Ci­ne­maf­ri­ca haben wir­kungs­star­ke und aus­sa­ge­kräf­ti­ge gra­fi­sche Iden­ti­tä­ten her­vor­ge­bracht, die das Schwei­zer Gra­fik­de­sign nach­hal­tig ge­prägt haben. Seine Pla­ka­te wur­den mit zahl­rei­chen in­ter­na­tio­na­len Prei­sen aus­ge­zeich­net und sind in be­deu­ten­den Samm­lun­gen wie dem Mu­se­um of Mo­dern Art in New York ver­tre­ten. Schrai­vo­gel ist seit 1995 Mit­glied der Al­li­an­ce Gra­phi­que In­ter­na­tio­na­le (AGI).
Mit dem Schwei­zer Grand Prix De­sign 2016 würdigt die Eid­ge­nos­sen­schaft Schrai­vo­gels ein­zig­ar­ti­ge Po­si­ti­on im Schwei­zer Gra­fik­de­sign, die aus­drucks­vol­le und kon­stan­te Iden­ti­tät sei­ner Werke und den gros­sen Ein­fluss sei­ner Pla­ka­te auf das Image und die Kom­mu­ni­ka­ti­on vie­ler Schwei­zer Kul­tu­rak­teu­re. Schrai­vo­gel wurde 1995, 1997 und 2000 be­reits mit einem Schwei­zer De­sign­preis aus­ge­zeich­net.

Essay

Der Spurenleser: Ralph Schraivogel und das Plakat

Wenn ein Pla­kat für Win­ter­pneus wirbt, dann sehen wir dar­auf Win­ter­pneus. Scha­de, dass Ralph Schrai­vo­gel noch nie die Mög­lich­keit er­hielt, ein Pla­kat für Win­ter­pneus zu ge­stal­ten. Was käme wohl dabei her­aus?
Diese Frage im­pli­ziert nicht, dass Schrai­vo­gel die Sache verhüllen will. Im Ge­gen­teil, er will sie sicht­bar ma­chen — nur an­ders als durch ein plat­tes Ab­bild. Er pflegt zu fra­gen: Was be­deu­tet das Thema, wel­ches sind seine Bild­mög­lich­kei­ten und wie — wenn sie ein­mal er­kannt sind — las­sen sie sich vi­su­ell ver­mit­teln? Schrai­vo­gel ist ein Über­set­zer wie ein Fähr­mann: Wie die­ser über den Fluss, so setzt er vom In­wen­di­gen des The­mas zum Sicht­bar-Ma­chen­den des Bil­des über. So stellt sich die Auf­ga­be der vi­su­el­len Ge­stal­tung stets dar, doch er löst sie auf seine un­ver­wech­sel­ba­re Weise und in schon viel­fach aus­ge­zeich­ne­ter Qua­li­tät.
Seit gut dreis­sig Jah­ren hat er die Welt um seine Pla­ka­te be­rei­chert. Nur we­ni­ge ver­ra­ten durch ihre Raf­fi­nes­se dem Ken­ner die Mühe, die sie ihn ge­kos­tet haben, ei­ni­ge wir­ken gar wie mühe­lo­se Aperçus, ob­wohl auch sie das Re­sul­tat eines Such­pro­zes­ses sind. Sagen wir es so: Wenn Aperçu, dann nur aus dem Stand einer stets neu er­run­ge­nen Lu­zi­di­tät. Der Weg zum gülti­gen Ent­wurf führte stets über viel Ver­such und Irr­tum und be­ruht auf selbst­kri­tisch ge­steu­er­ter In­tui­ti­on.
Ich will ver­su­chen, sei­ner bild­schöp­fe­ri­schen Ei­gen­art mit dem Aus­stel­lungs­pla­kat Die Welt im Kas­ten näher zu kom­men (1994). Von der Ca­me­ra Ob­scu­ra bis zur Au­dio­vi­si­on, fünf­hun­dert Jahre Er­zeu­gen und Trans­por­tie­ren von Bil­dern, wo doch — so könn­te man den­ken — die Welt einem oh­ne­hin vor Augen steht. (Dies ist das the­ma­ti­sche Gra­vi­ta­ti­ons­zen­trum nicht nur die­ser Aus­stel­lung, son­dern von Ralph über­haupt.) Was macht er? Eine Ar­chi­tek­tur­per­spek­ti­ve aus der Re­nais­sance wird über­la­gert von einer mo­der­nen Stras­sen­flucht, wenn man denn die Pro­jek­ti­ons­strah­len des Bea­mers auch so lesen will — man kann, muss aber nicht. Die ty­po­gra­fi­schen Ele­men­te des Pla­kats sind in einen ord­nen­den Rah­men ein­ge­spannt, der zwar fra­gil wirkt, doch das Bild­ge­sche­hen di­ri­giert. Darin und in auf­fla­ckern­den Hel­lig­keits- und Dun­kel­heits­fle­cken wer­den Wör­ter und auch ein­zel­ne Buch­sta­ben ge­dreht und wer­den Wort­tei­le über­blen­det. Auch ein frag­men­tier­tes Stro­bo­skop mit einer den Salto schla­gen­den Men­schen­fi­gur ist in das pre­kä­re Gefüge ein­be­zo­gen. Es braucht bei­des, den Rah­men und des­sen Ge­fähr­dung, um den Tie­fen­raum des Aus­stel­lungs­the­mas sicht­bar zu ma­chen.
Die­ser Raum unter oder hin­ter der Ober­flä­che gibt Schrai­vo­gels Pla­ka­ten ihre cha­rak­te­ris­ti­sche Tiefe, in der es immer Be­we­gung gibt, ähn­lich der Kon­vek­ti­on von Schich­ten aus Luft oder Was­ser, die auf­stei­gen, ab­sin­ken und sich aus­tau­schen. Alle seine Pla­ka­te sind ja auch nur be­druck­tes Pa­pier, aber es gibt Fälle, wo sogar die Schrift wie aus der Tiefe auf­zu­tau­chen scheint. Das Pla­kat zur Aus­stel­lung Gross & klein (1997) ver­dankt sich der Ent­de­ckung, dass ein zer­kratz­ter Mass­stab aus Ple­xi­glas, mit dem Ver­grös­se­rungs­ap­pa­rat auf Fo­to­pa­pier be­lich­tet, wie ein Blick ins All er­scheint, wobei die Zahl 8 zum Un­end­lich­keits­zei­chen wird.
Diese im­ma­nen­te drit­te Di­men­si­on ver­leiht sei­nen Pla­ka­ten eine spürbare Kör­per­lich­keit. Bis etwa 2000 war sie begüns­tigt durch die Tech­nik der Film­mon­ta­ge, aber nicht darin begründet. Es han­delt sich um eine the­ma­ti­sche und nicht um eine tech­ni­sche Fas­zi­na­ti­on. Nicht um eine Re­zep­tur. Des­halb gilt es, immer wie­der neue For­men des Über­set­zens zu fin­den. Im Pla­kat zu Akira Kuro­sa­wa (Film­po­di­um Zürich) er­schei­nen die Schrift­zei­chen wie Ori­ga­mi aus Pa­pier ge­fal­tet. (Die Schrift zei­chen sind la­ckiert, der Un­ter­grund, eine Fo­to­gra­fie mit Rei­tern, nicht.) Dabei «fal­tet» Schrai­vo­gel nicht ein­zel­ne Buch­sta­ben als Typen, son­dern macht das Falt­prin­zip selbst zum Thema. Der Buch­sta­be A etwa kommt vier Mal vor, und jedes Mal ver­schie­den. Es scheint, als ob die drit­te Di­men­si­on, die es zum Um­fal­ten des Pa­piers braucht, an­we­send wäre. Sol­che Ent­schei­dun­gen — an­zu­neh­men ist : un­zäh­li­ge von ihnen und immer wie­der an­de­re — sind nun mal das ein­sa­me Ge­schäft des Künst­lers. Und wenn es die rich­ti­gen Ent­schei­dun­gen sind, be­kom­men die Pla­ka­te ihre Span­nung und Aus­strah­lung.
Im Pla­kat zur Re­tro­spek­ti­ve Woody Allen kann man (muss nicht) den Stras­sen­plan von New York mit dem schräg ver­lau­fen­den Broad­way sehen. Auch hier legt Schrai­vo­gel eine As­so­zia­ti­ons­spur: Woody Allen — «Stadt­neu­ro­ti­ker» — Man­hat­tan; aber nur Woody Allen ist ex­pli­zit ge­nannt, die an­de­ren Ele­men­te wer­den im­pli­ziert und laden das Pla­kat mit sei­ner... sei­ner was? auf. «Bot­schaft»? Nein, das passt nicht zu Schrai­vo­gel, weil ein­di­men­sio­nal. Statt­des­sen: At­mo­sphä­re, Stim­mungs­la­ge... Er fin­det jedes Mal einen pas­sen­den Wirk­stoff, mit dem er seine Pla­ka­te impft und der seine Wir­kung im Ver­bor­ge­nen ent­fal­tet. Und wir ver­ste­hen, dass so jeder Auf­trag zu­nächst ein Er­kennt­nis­pro­blem ist.
Als Leg­as­the­ni­ker hat sich Ralph Schrai­vo­gel dazu zwin­gen müssen, beim Ent­wer­fen eines Pla­kats «die Buch­sta­ben gern­zu­ha­ben.» Des­halb zählt er die Wör­ter aus, be­fragt sie auf ihre Form, zer­legt sie in ihre Buch­sta­ben und weist sie an ihren Platz (wie früher im Thea­ter). Das ist ein for­mel­ler Vor­gang und nicht sprach­li­che Rou­ti­ne. Er sagt auch : «Mich in­ter­es­siert das Bild dort, wo die Spra­che nicht mehr funk­tio­niert.» Weil — so lies­se sich er­gän­zen — die Spra­che ein schwer­fäl­li­ges (dis­kur­siv-li­nea­res) Aus­drucks­mit­tel ist und ein Bild un­mit­tel­bar, als Gan­zes (si­mul­tan) wirkt. Für einen vi­su­el­len Ge­stal­ter ist es das Bild ein­schliess­lich der Ty­po­gra­fie, in dem er seine Wirk­stof­fe un­ter­bringt. Wie und womit, darin liegt die Kunst.
Clau­de Lich­ten­stein