Lilo Baur

© BAK / Charlotte Krieger

Lilo Baur

Vielseitige Regisseurin

Schweizer Grand Prix Darstellende Künste / Hans-Reinhart-Ring 2024

Lilo Baur, geboren 1958 in Muri (AG), hat ihre Karriere als Schauspielerin und Regisseurin überwiegend im Ausland gemacht – als Schauspielerin in London und als Regisseurin in Griechenland, Spanien, Italien und Paris. Heute arbeitet sie vor allem als vielseitige Regisseurin im Sprech- und Musiktheater an grossen Häusern wie der Comédie-Française oder der Opéra Comique in Paris, inszeniert aber auch immer wieder in der Schweiz: Im Oktober 2023 wurde «Une journée particulière» nach dem gleichnamigen Film von Ettore Scola im Théâtre de Carouge uraufgeführt. Lilo Baur besuchte zunächst das Lehrerseminar in Wohlen (AG). Nach ihrer Schauspielausbildung bei Jacques Lecoq in Paris spielte sie in Frankreich und von 1986 bis 1988 in den USA. 1988 bis 2000 war sie Ensemblemitglied der 1983 in London gegründeten Theatergruppe Théâtre de Complicité. Deren Produktionen touren weltweit und werden vielfach prämiert. So wurde Lilo Baur für ihre Titelrolle in «The Three Lives of Lucie Cabrol» (1994), inszeniert vom Gründer Simon McBurney, mit dem Manchester Evening News Award for Best Actress und 1997 mit dem kanadischen Dora Award als beste Schauspielerin ausgezeichnet. Das Stück war damals auch in Zürich am Theaterhaus Gessnerallee zu sehen. In die Schweiz kommt sie als Gastdozentin an die Manufacture in Lausanne. Seit 2015 arbeitet sie zudem regelmässig in Japan. Vom französischen Kulturministerium wurde ihr 2015 der Officier de l’Ordre des Arts et des Lettres und 2023 der Commandeur de l’Ordre des Arts et des Lettres verliehen.

Als Schauspielerin spielte Lilo Baur in «The Honest Whore» und «Der Kaufmann von Venedig» (beide 1998) im Globe Theatre in London, in «Orestie» (2000) unter Katie Mitchel oder bei Peter Brook als Gertrud in Shakespeares «Hamlet» (2002/03). Sie assistierte Brook bei «Fragmente» von Samuel Beckett (2006) und «Warum, warum» (2008), das auch im Schiffbau in Zürich gezeigt wurde. Ausserdem hatte sie Rollen in Filmen ‒ in «Vollmond» (1998) von Fredi Murer, in «Don Quixote» von Peter Yates (2000), in «Hell» (2010) von Tim Fehlbaum, einen Kurzauftritt in «Bridget Jones» (2004) und spielte in der BBC-Serie «Bleak House» (2005). Lilo Baur wirkt seit Anfang der 2000er-Jahre hauptsächlich als Regisseurin. Zu ihren vielen Regiearbeiten zählen «Grimms Märchen» (2009) in Athen, «33 svenimenti» (2008) von Tschechow in Rom oder «Fish Love» (2008) nach Tschechow, das vom Théâtre de Vidy in Lausanne co-produziert wurde. Grosse Opern waren «Dido und Aeneas» (2011) und «Ariane et Barbe Bleu» (2012), beide in Dijon. «Lakmé» von Léo Delibes realisierte sie 2013 an der Opéra de Lausanne, ebenfalls dort 2014 die Oper «Le Pétit Prince» von Michaël Levinas. An der Opéra Comique entstanden «Armide» (2022) von Gluck und «Armide» von Lully (2024). Aktuell inszeniert Lilo Baur vor allem an der Comédie-Française. Dort stehen in der kommenden Saison 2024/25 «L’Avare» von Molière und «La Souricière» von Agatha Christie auf dem Spielplan. Für «La Tête des autres» erhielt sie 2013 den Prix Beaumarchais und 2020 war sie für den Prix Molière für die Regie von «La Puce à l’Oreille» (2019) von Georges Feydeau nominiert.

Lilo Baur ist eine Reisende über weite Distanzen und eine Liebhaberin mit grossem Herzen. Sie wird im Aargau geboren, lässt sich in Paris ausbilden und erhält schliesslich in England einen Schauspielpreis. Danach wechselt sie in die Regie und wandert in den 2000er-Jahren nach Frankreich weiter, wo sie 2020 mit der Nominierung für einen «Molière» gewürdigt wird. Sie wird in verschiedene europäische Länder und kürzlich nach Japan eingeladen. Auf ihren Reisen verliert sie aber nie ihre Seelenlandschaft aus dem Blick, ganz wie der kleine Prinz: «Man sieht nur mit dem Herzen gut. Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar.» Es ist bemerkenswert, wie sehr Lilo Baurs Kreationen vom zentralen Thema des Liebesgefühls geprägt sind. Bei Marcel Aymé, Molière und Feydeau sowie kürzlich in Lullys Oper «Armide» oder ausgehend von Ettore Scolas Filmschaffen erforscht sie auf der Bühne die Liebe in allen ihren Zuständen. Eifersucht und Leidenschaft, flüchtige Liebe oder politische Erpressung: Um solche Gefühlshandlungen lässt ihr theatrales Schaffen die Bilder eines europäischen Theaters entstehen.

Georges Grbic, Jurymitglied