Verena Huber

Verena Huber

Die Wahrnehmung zählt

Unsere Wohnerfahrungen haben uns alle geprägt. Die Erinnerungen an das Haus, in dem wir unsere ersten Schritte versuchten und unsere besten Geheimnisse hegten, bleiben auch dann bei uns, wenn wir längst woanders sind: Andere Häuser bewohnen, in anderen Konstellationen, manchmal mit vielen Menschen und manchmal allein.
Verena Huber hat sich als Innenarchitektin, Forscherin und Lehrerin eingehend mit den Fragen des Wohnens und Sich-Aufhaltens befasst. Die Gestaltung von Innenräumen liegt ihr am Herzen, weil dort die Architektur auf den menschlichen Massstab trifft. An dieser Schnittstelle zwischen dem Haus und seinen Benutzer:innen situiert sie ihre Tätigkeit: «Die Innenarchitektur operiert auf dem Massstab, der dem Menschen am nächsten ist.»
Aus dem Werk von Verena Huber lernen wir: Innenarchitektur ist viel mehr als eine Ansammlung von Objekten in einem Raum. Es ist die Frage nach dem Gebrauch der Dinge, wie wir mit ihnen umgehen und wie wir ihre Geschichte weiterschreiben. Für Verena Huber beginnt die Gestaltung mit der Wahrnehmung.

Der Gebrauch der Dinge

Die Vorstellung, dass Design nicht nur Objekte, sondern auch das Soziale umfasst, hat in den letzten Jahren wieder vermehrt Aufmerksamkeit erhalten. Ihre erste Hochkonjunktur erlebte diese Idee in den 1970er-Jahren, als der Wirtschaftsaufschwung der Nachkriegszeit zunehmend mit Skepsis betrachtet wurde. Mensch und Umwelt rückten in den Fokus. «Die Verbindung von Soziologie und Architektur gehört in diese Zeit, die auch meine Zeit war», erinnert sich Verena Huber. Ihre Zeit allerdings dauerte bis ins nächste Jahrtausend, die heute 84-Jährige ist immer noch aktiv.
Auf ihre ersten eigenen Aufträge in den 1970ern folgten grössere Aufträge: Restaurants, Schiffe, Bibliotheken, die Innenraumgestaltung für Jakob Zweifels Schwesternhochhaus des Zürcher Universitätsspitals und viele Aufträge mehr. Daneben schrieb sie auch viel über die Möglichkeiten und Grenzen der Innenarchitektur: vermittelnd, ermunternd, kritisch. So beispielsweise 1974 im Heft «16 x die gleiche Wohnung», das aufzeigte, wie Musterwohnungen näher an der Realität des zeitgenössischen Wohnens eingerichtet werden könnten.

Erkundungen in der Nähe und in der Ferne

Im nachfolgenden Gespräch erzählt Verena Huber, wie sie schon als kleines Kind über Stacheldrahtzäune und Grenzen hinweg schauen wollte. Das Reisen und Kennenlernen anderer Kulturen wurde ab den 1980ern zum festen Bestandteil ihrer professionellen und privaten Praxis, als Inspiration und permanente Weiterbildung. Wohnen wurde zum Kernthema ihrer forschenden Tätigkeit. Auf die Wohnbauforschung in den späten 1960er-Jahren im Auftrag des Schweizer Werkbunds und später des Bundes folgte das Erkunden der Wohnkultur in fremden Ländern, das bis heute mit vielen Reisen verbunden ist. Was Verena Huber seit Jahrzehnten betreibt, wird auch als transkulturelle Wohnforschung zusammengefasst. Sie selbst beschreibt ihre forschende Neugierde auch als ein «Verstehen, ohne zu urteilen».
Mit ihrem vielseitigen Engagement hat sie nicht nur den eigenen Horizont, sondern auch den ihrer Umgebung erweitert, Möglichkeiten eröffnet, Menschen zusammengebracht. Sie hat Vereine mitgegründet, Verbände präsidiert und Kulturorganisationen mitgetragen. Nicht nur für die Gestaltung von Möbeln und Räumen hat sie ein Talent, sondern auch für den Aufbau von internationalen Netzwerken. Bis heute bringt sie Menschen dazu, Räume und Dinge zu hinterfragen und in neue Zusammenhänge zu setzen und bereichert so mit ihrem Wirken die Welt.

Die ausserordentliche Neugierde

Wenn sich jemand ein Leben lang gleichzeitig intensiv mit den eigenen Wohnerfahrungen auseinandersetzt und mit einer nicht zu erschöpfenden Neugierde das Wohnen der anderen erforscht, wie Verena Huber es tut, ist das etwas Besonderes. Und wenn sich daraus so nachhaltig wie in ihrem Fall neben Möbeln und Innenraumgestaltungen auch Bücher, Broschüren, Ausstellungen und Disziplinen übergreifende Netzwerke ergeben, ist das sogar etwas Ausserordentliches. Diese Leistung zeichnet das Bundesamt für Kultur nun mit dem Schweizer Grand Prix Design aus.
Verena Hubers jüngste Initiative ist, gemeinsam mit elf weiteren Innenarchitektinnen und Innenarchitekten und in Anwesenheit von Trix und dem zwischenzeitlich verstorbenen Robert Haussmann, die Mitgründung des «Archiv Innenarchitektur Schweiz» (AIS). Der Verein ruft Gestalter auf, ihr Schaffen so zu ordnen, dass die Nachwelt sich darin zurechtfinden kann. Kurz nachdem die Preisträgerin über die Würdigung ihrer Arbeit mit dem Grand Prix Design erfuhr, konnte der Verein auf dem Areal des Flughafen Kloten Räume mieten. Dort sollen dereinst die Archive von Schweizer Gestalterinnen und Gestalter aufbewahrt werden. Auch Verena Hubers eigenes, über Jahrzehnte entstandenes Werk wird dort für Interessierte einsehbar sein.
Die Dokumente aus ihrem Schaffen reichen von Möbelskizzen und Ausstattungen für private und öffentliche Räume über Reisetagebücher und Dokumentationen der zahlreichen Tagungen und Workshops, die sie als Mitglied, Vorstand und Präsidentin verschiedener Organisationen besuchte, bis zu beobachtenden und erklärenden Texten. Auch fast sechzig Jahre nach dem Abschluss ihres Studiums und 20 Jahre nach der Schliessung ihres Büros ist ihr das Vermitteln von Reichtum und Relevanz der Innenarchitektur immer noch ein Anliegen. Verena Hubers Engagement ist ansteckend.
Sabine von Fischer

Dieser Text wird ebenfalls in der Publikation Schweizer Grand Prix Design 2022 (Scheidegger und Spiess) abgedruckt, die im Juni 2022 im Rahmen der Ausstellung Swiss Design Awards in Basel erscheint. In der Publikation finden sich ein umfassendes Interview mit Verena Huber und Sabine von Fischer sowie eine Bildstrecke über das Schaffen der Preisträgerin.

Verena Huber
© Diana Pfammatter / BAK

Jurystatement

«Verena Huber hat immer schon einen eigenen Weg eingeschlagen. Von sinnentleerter Ästhetik und Konformität in jeder Hinsicht hat sie sich ein Leben lang ferngehalten. Der Mensch ist das Zentrum ihrer Arbeit. Das Erforschen von Wohnkultur und die Vermittlung ist für sie elementarer Bestandteil des Entwurfs. Die Gestaltung von Innenräumen verbindet sie direkt mit der Frage, wo wir herkommen und wohin wir weitergehen.»