Rosmarie Baltensweiler

Video: Marc Asekhame, Zurich
Cut: Max Wuchner
Interview: Corine Gisel, common-interest, Basel

Rosmarie Baltensweiler

Produktdesignerin

Die Leuchte zwischen Familiensache und Weltprodukt

Ihre erste Leuchte gestaltete Rosmarie Baltensweiler zusammen mit ihrem Ehemann Rico im Jahr 1951. Denn es fehlte ein passendes Exemplar für die eigene Wohnung. Mit ihrem schwarz-weissen Kopf, dem schweren Metallfuss, den schlanken Chromstangen und sechs Bewegungsachsen liess sich die selbstkonstruierte Stehleuchte in alle Richtungen recken und strecken und so an unterschiedliche Umgebungen und Verwendungen anpassen. Heute Deckenfluter, morgen Leselampe.

Aus dem Einzelstück wurde bald eine Kleinserie für Freunde. Es folgten eine Bestellung vom Möbelhaus Wohnbedarf, eine Erwähnung in der Zeitschrift Bauen + Wohnen und 1954 eine Abbildung auf dem Titelblatt des Warenkatalogs des Schweizerischen Werkbunds. Daraufhin wurde das internationale Einrichtungsgeschäft Knoll auf die Leuchte – die inzwischen den Namen «Type 600» bekommen hatte – aufmerksam und nahm diese in ihr Sortiment auf. 1956 bestückte Le Corbusier eine Musterwohnung mit einer Type 600, und ein Jahr später wurde sie in die Sammlung des Münchner Designmuseums Die Neue Sammlung aufgenommen. Man könnte also auch sagen: gestern Familiensache, heute Weltprodukt.

Die steile Karriere der Type 600 begründete das mittlerweile über 60 Jahre alte Familienunternehmen Baltensweiler. In dem Design von Leuchten vereinte sich Rosmaries Erfahrung als Innenarchitektin mit Ricos Wissen als Elektroingenieur. Ihr Gefühl für Raum und Form vermischte sich mit seiner Faszination für Technologie. Zusammen bauten sie ein international erfolgreiches Kleinunternehmen auf und zogen gleichzeitig vier Kinder gross. Ihr Chalet im luzernischen Ebikon war Atelier, Produktionsstätte und Zuhause. Als Rico Baltensweiler 1987 unerwartet verstarb, übernahmen Sohn Gabriel und Tochter Karin wichtige Aufgaben in dem Familienbetrieb. Rosmarie Baltensweiler zog sich ab 2013 langsam zurück. Heute, im Jahr 2019, produziert und vertreibt die Firma Baltensweiler sechzehn verschiedene Leuchtenfamilien. Darunter auch eine Neuauflage der Type 600.
In dem kleinen Unternehmen lagen und liegen Entwurf und Produktion stets nahe beieinander. «Wir haben immer auf die Vereinfachung hingearbeitet», erklärt Rosmarie Baltensweiler die Formensprache ihrer Leuchten. Dies war jedoch nicht nur ein ästhetisches Ideal. «Es war auch abhängig davon, was uns technisch möglich ist, was wir überhaupt produzieren konnten.» Eine Reduktion in der Form bedeutet eben auch eine Reduktion beim Material- und Herstellungsaufwand.
Einer der wichtigsten Impulse stellte für das kleine Familienunternehmen die globalpolitische Lage der frühen 1970er Jahre-dar. Die Berichte des Club of Rome und die weltweite Ölkrise rückten Fragen der Nachhaltigkeit und Energieeffizienz in den Fokus. Genau darauf reagierten Rosmarie und Rico Baltensweiler 1972 mit der Entwicklung ihrer Leuchte Halo 250. Mit dieser brachten sie das für die Autoindustrie entwickelte, sparsamere Leuchtmittel Halogen in den Heimbedarf. Aus einem ähnlichen Anliegen heraus entstand 1984 die Leuchtenserie Manhattan, welche die im Wohn- und Bürobereich damals noch wenig verwendete Fluoreszenzlampe salonfähig machte. Eine weitere Neuerung, die Fluoreszenz-Kompaktlampe, führte 1987 zum Design der Stehleuchte Aladin. Angetrieben von Rosmarie Baltensweilers Pionierarbeit wagte das Unternehmen 2007 schliesslich erfolgreich den Schritt in die LED-Technologie.
Technik hat Rosmarie Baltensweiler nie abgeschreckt. In ihren Entwürfen hat sie sich stets neuen technischen Anforderungen gestellt und gleichzeitig das Licht selbst nicht aus den Augen verloren. «Wir waren uns der Nachteile der Fluoreszenzröhre damals schon auch bewusst», erinnert sich Rosmarie Baltensweiler. «Sie gibt ein nebliges Licht ab. Eines, das nicht aus einer Quelle kommt und keine Richtung hat. Doch wir sind das Sonnenlicht gewöhnt. Das ist das, was für uns behaglich ist. Nicht ein Nebeltag.» Eine Leuchte ist immer Teil des menschlichen Lebensraums, egal ob in der eigenen Wohnung oder irgendwo sonst in der Welt.
Corinne Gisel