David Bielander

Video: Gina Folly
Fotos: Dirk Eisel/Simon Bielander
Schnitt: Miriam Leonardi
Musik: Carl Oesterhelt/Johannes Ender – The Anatomy Of Melancholy 3
 

David Bielander, 1968

Künstler und Schmuckgestalter, München

David Bielander (geboren 1968) entwickelt faszinierende Schmuckstücke, die sich über herkömmliche Erwartungen hinwegsetzen und die Grenzen der Schmuckkreation neu definieren. Nach seiner Lehre in Basel und Schwäbisch Gmünd studierte Bielander bei Professor Otto Künzli an der Akademie der Bildenden Künste in München. In der Folge schlug er seinen eigenen unkonventionellen und selbstbestimmten, von Experimentierfreudigkeit geprägten Weg ein. So entfremdet Bielander beispielsweise edle Materialien und reizt all deren Möglichkeiten aus - die Betrachtenden sowie die Trägerinnen und Träger der Schmuckstücke werden bewusst aus ihrer Komfortzone herausgeholt. Bielander lebt und arbeitet in München, seine Werke wurden in Galerien und Museen der ganzen Welt gezeigt.

Mit dem Schweizer Grand Prix Design 2017 würdigt die Eidgenossenschaft David Bielanders originelle und kritische Herangehensweise sowie seine aussergewöhnlichen und verblüffenden Kreationen, die ihn an die Spitze des internationalen Schmuckdesigns geführt haben. Bielander wurde im Jahr 2012 bereits mit einem Schweizer Designpreis ausgezeichnet.

Essay

David Bielander : Ein Schmuckmensch

Die Natur kennt unterschiedliche Strategien, um zu gewährleisten, dass eine Spezies immer besser wird. Meistens hat Attraktivität direkt mit Stärke, Schnelligkeit oder Grösse zu tun. Der stärkste Löwenmann ist auch der attraktivste, weil er Schutz bietet und das grösste Revier hat ; einen Raum für potentiellen Nachwuchs. Er schwängert die hübscheste Löwenfrau, und gemeinsam kriegen sie eine Menge starker, attraktiver Löwenbabys, die dann wiederum mit den starken Löwenbabys eines anderen Paars Liebe machen. Und so weiter, und so fort. Es geht seit jeher nur darum, Nachwuchs zu zeugen, der dann wiederum Nachwuchs zeugt. Doch seit ein paar Jahrtausenden ist der Mensch das einzige Tier, das diese Regeln der Natur zunehmend ignoriert. Als Menschenmann muss man seinen Rivalen nicht mehr verprügeln, um sich ein Revier zu sichern und eine Menschenfrau schwängern zu dürfen. Man muss nicht einmal mehr besonders gross oder schnell sein, um als attraktiv zu gelten. Ja, der moderne Menschenmann und die moderne Menschenfrau müssen überhaupt keinen Nachwuchs zeugen, wenn sie nicht wollen. Der neue Mensch kann sogar Schmuck designen und trotzdem nicht gesellschaftlich geächtet werden. Aber wie kann es sein, dass eine ganze Tierart es geschafft hat, sich so von den Naturgesetzen abzukapseln, dass es von der Herde nicht nur geduldet, sondern sogar zelebriert wird, wenn jemand - nehmen wir ein irres Beispiel - Körperverzierungen aus Edelmetall herstellt, die so aussehen, als wären sie aus Wellpappe gemacht? Was ist das für eine Welt, in der so etwas absolut Unnötiges wie überteuerte Bijouterie überhaupt möglich ist?

Lassen Sie mich ausholen. Was den Menschen im Kern ausmacht ist, dass er auch jenseits von akuter Gefahr an die Gefahr denken kann. Jeder hat ein Verständnis von Vergangenheit, Präsens und Zukunft, kann planen und bedauern, sich freuen und fürchten. Wir nennen das « denken ». Auch wenn ich weiss, dass ich wahrscheinlich nicht gerade sofort hier an Ort und Stelle sterben werde, kann ich an den Tod denken. Ein abstraktes, ewiges Gefühl, das sich durch jeden Tag zieht. Vielleicht irre ich mich, aber andere Lebewesen haben keine Angst vor etwas Unkonkretem. Oder haben Sie schon einmal ein grasendes Zebra im Fernsehen gesehen, das gerade daran denkt, wie schlimm es wäre, wenn jetzt der Löwe käme und versuchen würde, es in den Arsch zu beissen ? Oder einen Tannenbaum, der daran zweifelt, dass er es verdient, am Leben zu sein ? Nein. Die Tanne tannt stoisch und im Jetzt vor sich hin. Das Zebra grast, soviel es kann, und relaxt zwischendurch im Schatten. Relaxen ist sein Beruf, das Zebra hat keine Zeit für Angst, es funktioniert. Ich habe ständig Angst. Ich habe Angst davor, nicht einschlafen zu können, und gleichzeitig Angst, am Morgen zu verschlafen. Ich habe Angst, dass andere mich nicht mögen oder gar auslachen könnten, weil sie mich nicht verstehen. Ich habe Angst davor, dass jemand mich zu sehr versteht, dass jemand mich besser kennt als ich mich selbst kenne. Und ich habe Angst, dass ich irgendwann tot bin und sich niemand mehr an mich erinnert. Dass nichts von mir übrigbleibt. Was, wenn man stirbt und danach ist es viel schlimmer als alles, was man sich jemals vorgestellt hat ? Vielleicht wacht man dann auf, und steht in einer leeren Turnhalle, und vor einem steht ein dicker, dicker Mann in einer Fahrradhose und sagt : «Hallo, ich bin der Urs, und das ist der Himmel .» Das kann sein! Und dann würde man sich doch in den Arsch beissen, weil man nicht alles Menschenmögliche getan hat, damit etwas von einem übrigbleibt.

David Bielander gehört zu den Leuten, die verstanden haben, dass sie den Tod nur überlisten können, indem sie im Leben etwas für die Ewigkeit schaffen. Ein mühseliges Schaffen, das am Ende dann aber ohne einen weiterleben kann. Etwas, wofür man steht, wo Leib und Seele einfliessen mussten, um nicht lächerlich zu wirken. Ich kenne ihn zwar nicht persönlich, schätze Bielander aber als eher tiefgründigen Geist ein. (Vielleicht ist er auch ein oberflächlicher Depp, der noch nie nachgedacht hat und einfach nur Glück hatte bei seinen bisherigen Werken. Sollte dies so sein, verzeihen Sie bitte meine Fehleinschätzung.) Bestimmt wird David Bielander oft von Angst geplagt, regelmässig heimgesucht von Gedanken der Sinnlosigkeit und des Zweifelns. Hat Mühe damit, im Hier und Jetzt zu existieren wie ein Zebra und musste schon manchmal unter der Dusche weinen, weil ihm alles so sinnentleert und nichtig vorkam. Denn nur, wer in sich schon viel Hässlichkeit zu spüren bekommen hat, kann sein Dasein etwas so Schönem wie der Schmuckherstellung widmen. David Bielander ist ein Künstler, der das schmerzhaft Normale auf ein Podest der Exklusivität hebt und uns so zwingt, für einen Moment zu zögern und uns zu fragen, was wir hier eigentlich gerade sehen. Ein Zögern, in dem die Zeit still steht und kein Raum mehr ist für Angst. Dabei riskiert Bielander nicht nur, als Künstler zu scheitern, sondern auch als funktionierender Teil einer Menschengesellschaft. Er setzt seinen Status als Löwenmann auf Spiel. (Ich meine, mein Gott, der Mann macht Bananen aus Silber und Leder, der hat ja ganz offensichtlich gröber einen an der Klatsche.)

Und wenn in zweihundert Jahren alle, die heute leben, längst tot sind, wird man sich nicht an Individuen erinnern, die eine Zeit verkörpert haben, sondern an das, was sie hervorgebracht haben. Und ob es ein Tier nun besser macht, wenn es die Freiheit besitzt, künstlerisch tätig zu sein, sei dahingestellt. Ebenfalls, ob es für eine Spezies sinnvoll ist, wenn Kunstkäufer sich mit dem Schmuck aus fremder Feder schmücken können, um auf der Attraktivitätsskala nach oben zu rutschen und so stärkere, schnellere Löwenfrauen zu bezirzen. Irgendwo muss auch mal eine Grenze gezogen werden gegenüber dem, was von einem später mal übrig bleiben soll. Denn noch unnötiger als Schmuck zu kreieren, ist ja wohl nur, über die Kreation des Schmuckmenschen zu lesen.
Hazel Brugger
Originalfassung