Claudia Caviezel

Claudia Caviezel
Claudia Caviezel
© BAK / Gina Folly

Claudia Caviezel, 1977

Textildesignerin

Die Tex­til­de­si­gne­rin Clau­dia Ca­vie­zel zeich­net sich durch ihre Neu­gier­de und ihren schar­fen Blick für das Po­ten­ti­al von all­täg­li­chen Din­gen aus. Nach ihrer Aus­bil­dung an der Hoch­schu­le für Ge­stal­tung und Kunst in Lu­zern ar­bei­te­te sie beim Hau­te-Cou­ture-Tex­til­her­stel­ler Jakob Schla­e­p­fer und ent­wi­ckel­te ne­ben­bei ver­schie­dens­te wei­te­re Pro­jek­te, die von Stof­fen über Lam­pen­schir­me bis hin zu Tep­pi­chen und Wand­bil­dern reich­ten. Bei all ihren Ar­bei­ten pflegt Ca­vie­zel einen ex­pe­ri­men­tel­len und of­fe­nen An­satz und kom­bi­niert ihren ein­zig­ar­ti­gen In­stinkt für Mus­ter und Far­ben ge­konnt mit ihrem her­vor­ra­gen­den Ge­spür für Ma­te­ria­li­en und ihrem tech­ni­schen Know-how. Zur­zeit ist sie als Lei­tung Tex­til­de­sign und - ent­wick­lung beim St. Gal­ler Mo­de­un­ter­neh­men Akris tätig.
Mit dem Schwei­zer Grand Prix De­sign 2016 wür­digt die Eid­ge­nos­sen­schaft Ca­vie­zels Ta­lent und tief­grei­fen­den Ein­fluss auf das zeit­ge­nös­si­sche Schwei­zer Tex­til­de­sign. Clau­dia Ca­vie­zel wurde 2003, 2007 und 2010 be­reits mit einem Schwei­zer De­sign­preis aus­ge­zeich­net.

Essay

Claudia Caviezels sprühendes Universum

Als ich im Jahr 2002 Clau­dia Ca­vie­zels Di­plom tape it an der Tex­til­klas­se in Lu­zern sah, war ich au­gen­blick­lich davon an­ge­tan. Ihre mit Kle­be­band fi­xier­ten Klei­der und Tex­ti­li­en oder ihre aus Tape ge­kleb­ten Bo­den­be­lä­ge und Vor­hän­ge waren ver­stö­rend an­ders. Da wagte eine junge Frau, das zu tun, wor­auf sie Lust hatte und die Gren­zen der Schwei­zer De­sign­tra­di­ti­on ohne Scheu zu über­schrei­ten. Clau­dia Ca­vie­zels Ar­beit war weder tra­di­tio­nell ver­ar­bei­tet noch re­du­ziert in der Ge­stal­tung, son­dern alles an­de­re als das, was man ge­mein­hin mit ty­pisch schwei­ze­ri­schen At­tri­bu­ten ver­bin­det. tape it war bunt, wild und un­kon­ven­tio­nell. Die frisch di­plo­mier­te De­si­gne­rin begründete in ihrer Ab­schluss­ar­beit eine Me­tho­de, die noch heute ihr Schaf­fen prägt : die Ket­ten­re­ak­ti­on. « Das Kon­zept für ein Pro­jekt lege ich mir zu­erst im Kopf zu­recht. Wenn ich ein Gefühl dafür habe, wie es sein soll, dann lege ich los, pro­bie­re aus, ent­wick­le eine Idee immer wei­ter und bin offen für Zu­fäl­le », er­klärt die De­si­gne­rin ihr Vor gehen. Clau­dia Ca­vie­zel ver­wen­det und kom­bi­niert Ma­te­ria­li­en und Tech­ni­ken auf un­ge­wohn­te Weise und sie lässt sich vom Ex­pe­ri­ment und auch von der Musik, die sie beim Ar­bei­ten hört, trei­ben. Über­haupt hat Musik im Leben der De­si­gne­rin einen wich­ti­gen Stel­len­wert. So kann man zwi­schen Clau­dia Ca­vie­zels Ar­beits­wei­se und der­je­ni­gen zeit­ge­nös­si­scher Mu­sik­schaf­fen­der durch­aus Ana­lo­gi­en zie­hen. Auch sie re­cy­clet und sam­pelt Fund­stücke aus ihrem Leben, nimmt diese aus­ein­an­der, setzt sie neu zu­sam­men und ver­frem­det diese, bis sie sich zu einem per­sön­li­chen und künst­le­ri­schen Werk wie­der zu­sam­men­fügen.
Clau­dia Ca­vie­zels un­kon­ven­tio­nel­les und vor Ideen sprühen­des Werk ist in der Schwei­zer De­si­gn­land­schaft ein­zig­ar­tig. Sie hat mit dem Mi­schen von altem und neuem Hand­werk, von un­ge­wöhn­li­chen Ma­te­ria­li­en und Tech­ni­ken, dem Ein­satz von Far­ben und Struk­tu­ren ein ganz per­sön­li­ches Oeu­vre er­schaf­fen. Sie zeich­net sich da­durch aus, dass sie keine Berührungs­ängs­te zu All­täg­li­chem und Ein­fa­chem hat und sie ge­ra­de die­ses Be­kann­te immer wie­der neu in­ter­pre­tiert und in ihren Entwürfen an­wen­det. Auf diese in­tui­ti­ve und kon­zen­trier­te Ar­beits­wei­se er­ar­bei­tet die De­si­gne­rin über­ra­schen­de Lö­sun­gen. Sich der­art er­folg­reich über Nor­men und Ideo­lo­gi­en hin­weg­zu­setz­ten wie es Clau­dia Ca­vie­zel tut, ge­lingt nur ri­si­ko­freu­di­gen Ge­stal­ter­per­sön­lich­kei­ten. Das Span­nungs­feld zwi­schen De­sign und Kunst, zwi­schen Serie und Uni­kat aus­zu­lo­ten, das Ge­ge­be­ne eben nicht als ge­ge­ben an­zu­neh­men, das sind die trei­ben­den Kräf­te hin­ter Clau­dia Ca­vie­zels Werk.
Um Clau­dia Ca­vie­zels Ar­beits­wei­se bes­ser zu ver­ste­hen, hilft ein Blick auf zwei ihrer Pro­jek­te. Als Aus­gangs­la­ge für ihr 5 x 8 Meter gros­ses Wand­bild für die West­bund Art and De­sign Fair 2014 in Shang­hai dien­ten der Ge­stal­te­rin nicht mehr be­nutz­te Kunst­stoff­plat­ten, die mit Pro­jek­ten von ihr be­druckt waren. Auf die­sen misch­te sie mit Spach­tel und Rakel un­zäh­li­ge Farb­ver­läu­fe. Dar­un­ter schim­mer­te da und dort ihre alte Ar­beit durch. « Die Farb­ver­läu­fe, die mir am bes­ten ge­fal­len haben, habe ich ein­ge­scannt, ver­grös­sert, in der Farbe ver­än­dert und neu zu­sam­men­ge­stellt », er­klärt Clau­dia Ca­vie­zel. Auf den far­bi­gen Hin­ter­grund hat die Tüft­le­rin un­zäh­li­ge Blu­men und Tiere plat­ziert. Viele Mo­ti­ve stam­men aus ihrem um­fang­rei­chen Ar­chiv an Fo­to­gra­fi­en und Skiz­zen, die sie oft auf Rei­sen auf­ge­nom­men und ge­zeich­net hat. Das opu­len­te Wand­bild war Blick­fang und Pu­bli­kums­lieb­ling der West­bund Art and De­sign Fair. Un­zäh­li­ge Chi­ne­sen lies­sen sich davor ab­lich­ten und Pu­bli­ka­tio­nen aus aller Welt druck­ten Clau­dia Ca­vie­zels Werk ab. Der Auf­tritt in Shang­hai blieb weder in der Schweiz noch in der rest­li­chen Welt un­be­merkt. Es folg­ten Auf­trä­ge für wei­te­re Wand­ar­bei­ten oder In­nen­ar­chi­tek­tur­pro­jek­te aus dem In- und Aus­land.
In der Schweiz ist Clau­dia Ca­vie­zels Schaf­fen vie­len Men­schen über ihre Zu­sam­men­ar­beit mit Ate­lier Pfis­ter be­kannt. Mit dem Mö­bel­her­stel­ler hat sie seit 2011 Kis­sen, Bett­wä­sche, De­cken, Tep­pi­che und ein Sofa rea­li­siert. In Ent­wick­lung ist zur­zeit wie­der ein Tep­pich­pro­jekt der Ge­stal­te­rin. Nach di­ver­sen geknüpften und ge­floch­te­nen Entwürfen hat sie sich einen getuf­te­ten Tep­pich vor­ge­nom­men. Be­gon­nen hat sie die­ses Mal mit einem Würfel­puz­zle aus ihrer Kind­heit. Jede Würfel­sei­te hat eine an­de­re Farbe oder zwei Far­ben, wel­che die Flä­che dia­go­nal in zwei Drei­ecke un­ter­tei­len. Clau­dia Ca­vie­zel liess sich ein sol­ches Würfel­puz­zle in den Pro­por­tio­nen des Tep­pichs an­fer­ti­gen. Sie legte Mus­ter um Mus­ter und hielt diese mit der Ka­me­ra fest. Am Com­pu­ter ent­fern­te sie die Schat­ten­fu­gen zwi­schen den Würfeln und füllte die so ent­stan­de­nen Flä­chen mit ver­schie­de­nen Far­ben und Struk­tu­ren. « Würde ich gleich am Com­pu­ter mit einem Ent­wurf be­gin­nen, käme ich nie auf sol­che Lö­sun­gen. Ich brau­che den Trans­fer zwi­schen ana­log und di­gi­tal, zwi­schen klei­ner und gros­ser Di­men­si­on, zwi­schen Low- und High-Tech », er­klärt die Ge­stal­te­rin ihr Tun.
Seit ihrem Di­plom vor bald 14 Jah­ren hat die De­si­gne­rin ihre Ar­beit in ver­schie­de­ne Rich­tun­gen aus­ge­wei­tet und sich ihr ei­ge­nes Ar­beits­um­feld er­schaf­fen. Neben Stof­fent­würfen und Pro­duk­ten ge­hö­ren auch immer mehr gross­flä­chi­ge Bil­der und In­te­ri­or­pro­jek­te in Zu­sam­men­ar­beit mit Ar­chi­tek­ten zu ihrem Oeu­vre. Ob­wohl noch jung hat Clau­dia Ca­vie­zel ge­zeigt, wie viel sie in die­sen Jah­ren be­reits aus­pro­biert und er­reicht hat. Als Fan der ers­ten Stun­de bin ich ge­spannt, in wel­che Di­men­sio­nen Clau­dia Ca­vie­zel mit ihrer lei­den­schaft­li­chen und furcht­lo­sen Art ihr sprühen­des Uni­ver­sum wei­ter aus­deh­nen wird.
Aria­na Pra­dal