Thomas Hauert
Schweizer Grand Prix Darstellende Künste / Hans-Reinhart-Ring 2025
Schweizer Grand Prix Darstellende Künste / Hans-Reinhart-Ring 2025
Thomas Hauert ist 1967 geboren und im Kanton Solothurn aufgewachsen. Nach einer Primarlehrerausbildung in Solothurn und einer Tanzausbildung an der Rotterdamse Dansacademie arbeitete er zunächst als Tänzer u.a. mit Anne Teresa De Keersmaeker, David Zambrano, Gonnie Heggen und Pierre Droulers, bevor er 1997 in Brüssel seine Compagnie ZOO gründete. Eine kollaborative Herangehensweise, Improvisation, die Erkundung der Bewegungs- und Interaktionsmöglichkeiten von Körpern im Raum wie auch das Verhältnis zwischen Tanz und Musik zeichnen Thomas Hauerts Arbeit aus. Auf die erste Choreografie «Cows in Space» (1998) folgten mehr als 20 Kreationen für ZOO, die weltweit Erfolge feierten. Darunter gehören «Verosimile» (2002), «Modify» (2004), «Accords» (2008), das Solo «(sweet) (bitter)» (2015), und «Efeu» (2022). Seine Kreationen «From B to B» (2011, mit Àngels Margarit/Cia Mudances) und «inaudible» (2016) wurden 2013 bzw. 2017 jeweils mit einem Schweizer Tanzpreis des Bundesamtes für Kultur ausgezeichnet. Seit der Premiere am Festival La Bâtie 2024 in Genf tourt Thomas Hauert mit seinem Solo «Troglodyte» durch Europa und wird im November 2025 am Festival TANZINOLTEN zu Gast sein.
Neben seiner Arbeit mit der Compagnie ZOO erhielt Thomas Hauert Aufträge von vielen renommierten Compagnien und Institutionen. Er choreografierte Stücke mit Studierenden verschiedener Tanzausbildungen, darunter P.A.R.T.S. in Brüssel, dem Laban Centre in London, das Ballet Junior in Genf, die Stockholm University of the Arts. Für das Ballett Zürich kreierte der Choreograf «Il Giornale della Necropoli» (2010) und am Toronto Dance Theatre entstand «Pond Skaters» (2012). Das Stück «Notturnino» schuf er 2014 für die britische Candoco Dance Company, bestehend aus Tänzerinnen und Tänzern mit und ohne körperliche Beeinträchtigung. Mit dem Kollektiv La Bolsa aus Barcelona erarbeitete er «La mesure du désordre» (2015), mit dem Ballet de Lorraine «Flot» (2018), mit dem Ballett des Staatstheaters am Gärtnerplatz in München «Symphonie Nr.29» (2021) und kürzlich mit der Dresden Frankfurt Dance Company «Playing with Sergei, Martha and the others» (2025).
Ergänzend zu seiner choreografischen Tätigkeit hat Thomas Hauert im Rahmen von Lehraufträgen an zahlreichen Ausbildungsstätten und unzähligen Workshops eine international anerkannte Unterrichtsmethode entwickelt, die auf der langjährigen Bewegungsforschung seiner Compagnie basiert. Zudem ist er seit 2013 künstlerischer Leiter des Bachelor-Studiengangs für zeitgenössischen Tanz an der Hochschule für Darstellende Künste La Manufacture in Lausanne, dessen Alumni inzwischen die Schweizer und internationale Tanzszene auf vielfältige Weise bereichern.
Diesen Preis zu erhalten, ist ihm wahrscheinlich etwas unangenehm, denn Thomas Hauert hat das Kollektiv immer über das Individuum und die Suche über die Anerkennung gestellt. Heute aber möchte ihm ein ganzer künstlerischer Bereich danken. Mit dem Schweizer Grand Prix Darstellende Künste / Hans-Reinhart-Ring würdigen wir sein einzigartiges, anspruchsvolles und grosszügiges Schaffen. Seit mehr als fünfundzwanzig Jahren begeht Thomas Hauert neue Wege, wo Improvisation nicht Nachlässigkeit, sondern Disziplin bedeutet, wo die Komplexität zum Spiel wird und die Bewegung nicht aus einem festgelegten Stil entsteht, sondern aus dem ständigen Dialog mit der Umgebung, mit den Anderen, mit dem Leben.
Mit ZOO hat Thomas Hauert ein kollektives Experimentierlabor geschaffen. Er hat Systeme entwickelt, in denen sich die Hierarchien auflösen, alle Impulse geben, verändern und reagieren können, in denen aus Vertrauen, Zuhören und Verantwortung – in jeglichem Sinne – ein gemeinsamer Tanz entsteht. Bei Thomas Hauert verschwindet das Individuum nie in der Gruppe und die Soli sind immer vom Austausch mit den Anderen durchdrungen. Dabei kultiviert er die fruchtbare Spannung zwischen Freiheit und Struktur, zwischen dem Persönlichen und dem Gemeinsamen. Seine Herangehensweise – bei der alles unmittelbar entsteht, jedoch ohne an Präzision einzubüssen – hat den zeitgenössischen Tanz nachhaltig geprägt. Thomas Hauert hat eine neue Form von Virtuosität definiert: Sie ist nicht mehr spektakulär, sondern achtsam, nicht mehr demonstrativ, sondern ganz und gar verinnerlicht.
Und was ebenso wichtig ist: Thomas Hauert hat diese Vision an Generationen von Tanzschaffenden weitergegeben, im In- und Ausland, aber insbesondere durch die Leitung des Studiengangs in zeitgenössischem Tanz an der Hochschule für Darstellende Künste La Manufacture in Lausanne. Indem er besonderen Wert auf den Prozess legt, auf das Erkunden und Herantasten, hat Thomas Hauert den Weg für einen kollektiven Tanz geebnet, der zuweilen verletzlich, aber stets klarsichtig ist und sich immer wieder neu erfindet. Er zeigt uns, dass Tanzen kein Ausführen, sondern ein Suchen ist, dass der Körper denken und die Geste Bestand haben kann. Und dass Improvisation auch mit Ethik zu tun hat.
Mit dieser Auszeichnung wird heute nicht nur eine herausragende Karriere gewürdigt, sondern eine Haltung gegenüber der Welt, ein künstlerisches Schaffen, das die Bühne zu einem Raum für kollektive Erfindungskraft und den Tanz zu einer zutiefst humanistischen Kunst macht.
Simone Toendury, Jurypräsidentin