Valérie Favre

Valérie Favre
© Severine Oppliger

Valérie Favre

«Kunst ist nicht gemütlich!»

«Ich arbeite seit Jahren an einer Struktur, deren Zyklen sich nicht linear in einer Addition von Bildern bilden, sondern die wie eine Spirale funktioniert

Valérie Favre, geboren 1959 in Evilard, arbeitet seit den 1980ern als Malerin, seit 2006 ist sie Professorin für Malerei an der Universität der Künste Berlin. Sie lebt in Neuchâtel und Berlin.

Die Westschweizer Malerin Valérie Favre ist inter­national bekannt für Fabelwesen und Figuren, die ihre in Serien konzipierten Ölgemälde bevölkern. Ihre Bilder werden von einer fiktiven Welt voller Unruhe, Widerspruch und Kontraste bestimmt. Mit ihrer Malerei setzt sie sich kritisch mit Motiven und Denkfiguren aus Kunstgeschichte und Literatur auseinander. Charakteristisch für ihre expressiv-dynamische Malerei ist es, dass Favre an Strukturen «baut», indem sie über mehrere Jahre hinweg parallel an verschiedenen sich überlappenden Werkgruppen arbeitet. Für Favre ist die Malerei eine radikale Art und Weise, die Welt zu denken.

Nach ihren Anfängen in Theater und Film konzen-triert sie sich Ende der 1980er Jahre innerhalb eines durch Konzeptkunst und Minimalart bestimmten Kunstdiskurses auf das Medium der Malerei. Sie erregt mit ihren gemalten Kostümhüllen ohne Kör­per in Robes Rouges (1994–1996) Aufsehen in Frank­reich und wird schnell zu einer der wichtigsten fe­ministischen Malerinnen. Zu ihren markantesten Bildfindungen gehört die Lapine Univers (Univer­sal-Häsin, 2001–2012), eine hybride Frauengestalt mit langen Hasenohren – Heldin und Antiheldin in einem. Die Arbeit an einer Serie kann sich wie bei Suicide (2003–2013) über zehn Jahre erstrecken. Die­ses komplexe Thema übersetzt sie in lexikalischer Form mit Darstellungen von Selbstmörderinnen und Selbstmördern in über hundert Variationen in die Malerei. Favres Strategien der Reinszenierung fin­den sich nicht nur in der Aneignung von Motiven aus der Geschichte der Malerei wie in Goyas Hexenflug (2012–2016), sondern in ihrer Serie Selbstporträt als Hugo Ball (2016–2019) auch mit Bezugnahme auf die berühmte Fotografie des Dadaisten aus dem CabaretVoltaire.

Oft setzt Favre sich mit zu Archetypen geronnenen Erfahrungen auseinander wie in Der Dritte Bruder Grimm (2004–2007) oder greift Motive aus der Ma­lereigeschichte auf wie bei Redescriptions (2007–2008), die wiederum Eingang in ihren grossfor­matigen Triptychen Théâtres (2009–2017) finden. Bildtitel von Zyklen wie Die Henkerin (2008–2009), Kakerlake (2008–2010), Fragmente/Kosmos/Universum (2019–2020) oder Le Bateau des Poètes (2020–2022) sind nicht nur inhaltliche Hinweise ih­res Denkens, sondern auch poetische Erweiterun­gen der Malerei. Als Kontrapunkt fungieren rituali­sierte Arbeitsprozesse, die den Zufall in ihre Malerei bringen, wie einmal im Jahr bei Balls and Tunnels (seit 1995). Auch der Einsatz ihres Arbeitsinstru­ments der La Poulinière (Zuchtstute), deren Titel ein Kommentar zu Marcel Duchamps 3 stoppages étalon ist, gibt den künstlerischen Entscheidungen eine durch den Zufall bestimmte Struktur. Dazu ge­hört zum Beispiel die Festlegung eines Zeitfaktors für den malerischen Prozess.

In der Schweiz geboren und heute in Berlin und Neuchâtel arbeitend, lehrt sie seit 2006 als Pro­fessorin für Malerei an der Universität der Künste Berlin. 2012 wurde sie in Frankreich für den Prix Marcel Duchamp nominiert. Ihre Bilder befin­den sich in zahlreichen öffentlichen Sammlungen, etwa im Musée cantonal des Beaux-Arts Lausanne. Favres Arbeiten waren unter anderem hier zu se­hen: Kunsthaus Aarau (2022), Sprengel Museum Hannover (2020), Musée d’Art et d’Histoire Neu­châtel (2017/2018), Von der Heydt-Kunsthalle Wup­pertal (2016/2017), Museum Franz Gertsch, Burg­dorf (2016), Musée d’Art Moderne et Contemporain, Strasbourg (2015/2016), Neuer Berliner Kunstver­ein (2013/2014), Carré d’Art/Musée d’Art Contem­porain, Nîmes (2009), Centre Georges Pompidou, Paris (2009/2010), Kunstmuseum Luzern (2009/2010), Musée de Picardie, Amiens (2004).